Seite:GrosbergRussischeSchattenbilder.pdf/125

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

daß der Schwesternberuf schließlich einen ganz spezifischen Beigeschmack erlangte, und daß nun fast alle anständigen Elemente, die noch durchgehalten hatten, dem Heere den Rücken wandten und sich entweder hinter die Front versetzen ließen, oder aber die Schwesterntracht ablegten.

Man wird sich natürlich hüten müssen, allen Sestrizi mit einer verallgemeinernden Verurteilung bitteres Unrecht zuzufügen, — wer hätte hierzu den Mut? — aber es kann nicht verschwiegen werden, daß neben der Schuld der Oberleitung des Sanitätswesens, die in den Händen des sehr unfähigen Prinzen von Oldenburg lag, ein gewisses Schuldmaß auch auf die Sestrizi selbst insofern entfällt, als sie es nicht verstanden haben, das Eindringen unliebsamer Elemente in ihre Mitte hintanzuhalten, oder sich gegen die Verseuchung der Schwesternschaft mit abenteuernden Personen zu wehren.

Die Quittung über die große Sündenrechnung der Sestriza lieferte die Revolution, die den Bestand der Schwesternschaft vollends lichtete, weil die Soldaten sich ausgesprochen feindselig zu den Schwestern stellten und ihnen das Leben schlechterdings unmöglich machten. Der gemeine Mann rächte sich nun für so manche Kränkung und Mißachtung, die ihm seitens der Schwestern widerfahren; er hielt ihr Pflichtverletzungen vor und sprach offen und zynisch über ihre intimen Angelegenheiten; er verweigerte ihr jede Dienstleistung, indem er darauf hinwies, daß auch sie unzählige Male den Dienst vernachlässigt habe, und daß sie vor allen Dingen nicht das Fräulein zu spielen und sich als Weib von Männern bedienen lassen dürfe, sondern selbst fest Hand anzulegen habe.

In den Hospitälern geschah also dasselbe, was im ganzen heiligen Rußland allenthalben vor sich ging, — das zu souveräner Macht gelangte Volk kehrte mit eisernem Besen allen Unrat aus, den ein verrottetes Regiment an allen Ecken und Enden aufgehäuft hatte. Daß bei diesem gewaltigen

Empfohlene Zitierweise:
Oskar Grosberg: Russische Schattenbilder aus Krieg und Revolution. C. F. Amelang, Leipzig 1918, Seite 121. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:GrosbergRussischeSchattenbilder.pdf/125&oldid=- (Version vom 1.8.2018)