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Aber bald wird es ihr wieder schlecht und man hilft ihr wieder. Sie kann das Stehen nicht vertragen, die Ärmste. Viele können das Stehen nicht vertragen. Man konstatiert das mit Ingrimm. Man spricht das ganz laut aus, damit die in den Abteilen Sitzenden es hören, damit altruistische Gefühle in ihnen wachgerüttelt werden.

Aber die tun so, als ob sie nichts hörten. Da streckt sich ein uniformierter Dickwanst stöhnend und ächzend auf dem Diwan und pafft eine dicke Papiros. Ein hagerer Herr in der Uniform irgendeines Ressorts hat seinen Platz mit Plaids und Kissen umpolstert und blinzelt nun wie ein Uhu aus seinem molligen Neste in den unruhigen Korridor hinaus.

Ein General, alt, dick, aufgeschwemmt, tritt aus einem der Abteile; er drängt sich durch die Menge, er will irgend wohin verschwinden. Er stößt die Leute rücksichtslos beiseite, er preßt sie an die Wand, er arbeitet mit Ellenbogen und Knien.

„Zum Teufel, geben Sie Platz!“ schreit er wütend. „Was ist das für eine Schweinewirtschaft, man kann sich nicht einmal frei bewegen!“

„Bitte, nicht zu drängen!“

„Was? Was sagten Sie da? Wissen Sie, mit wem Sie es zu tun haben? Verstehen Sie? Wie unterstehen Sie sich!“

Aber Seine Exzellenz ist an den Falschen gekommen. Der kleine nervöse Herr läßt sich nicht einschüchtern, er trumpft der Exzellenz auf. Man versperrt Seiner Exzellenz den Weg, er kann nicht weiter, aber er muß doch, er muß dringend! Er flucht und wettert, aber die Menge weicht nicht. Grollend zieht der General sich wieder zurück. Auf der nächsten Station werde er schon Ordnung schaffen.

Der bewußten Dame wird zum dritten Mal schlecht, sie kann das Stehen nicht vertragen. Man beschließt ihr in radikaler Weise zu helfen. Der kleine nervöse Herr wendet

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Oskar Grosberg: Russische Schattenbilder aus Krieg und Revolution. C. F. Amelang, Leipzig 1918, Seite 103. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:GrosbergRussischeSchattenbilder.pdf/107&oldid=- (Version vom 1.8.2018)