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Artikel 4.
Das Vormundschaftsgericht verfügt in den Fällen des Artikel 1 von Amtswegen oder auf Antrag.
Zur Antragstellung berechtigt sind das Kreisamt, die Staatsanwaltschaft, die zuständige Bürgermeisterei, die von derselben etwa getrennte Ortspolizeibehörde, die Kreis-Schulkommission, das Pfarramt der Konfession des Kindes, die Eltern, die Großeltern, der Vormund oder der Pfleger des Kindes.
Die Staatsanwaltschaft ist verpflichtet, dem Vormundschaftsgerichte von den im Artikel 1 bezeichneten strafbaren Handlungen, welche zu ihrer Kenntniß gekommen sind, Mittheilung zu machen.
Das Vormundschaftsgericht ordnet die erforderliche Beweisausnahme an; es hat vor Erlaß seiner Verfügung außer dem Kinde selbst, insofern dies hierzu in Folge seines Alters und seiner Individualität überhaupt geeignet erscheint, die Eltern, oder, wenn diese nicht leben, die Großeltern, den Vormund oder Pfleger, die nicht richterlichen Mitglieder des Familienraths oder sonstige nahe Verwandte, falls die Anhörung dieser Personen ohne erhebliche Schwierigkeiten statthaben kann, sowie in allen Fällen die Gemeindevertretung, die Bürgermeisterei, die von derselben etwa getrennte Ortspolizeibehörde, das Pfarramt und, insofern das Kind schulpflichtig ist, den Schulvorstand des Wohnorts des Kindes zu hören.
Handelt es sich um den Fall körperlicher Vernachlässigung oder Mißhandlung, so ist auch ein Gutachten des Kreisgesundheitsamts einzuziehen.
Muß die Unterbringung des Minderjährigen auf öffentliche Kosten erfolgen, so hat sich das Vormundschaftsgericht auf die Anordnung der Zwangserziehung zu beschränken, während die Entscheidung darüber, ob der Minderjährige in einer Familie oder in einer Erziehungs- oder Besserungsanstalt unterzubringen ist, dem Kreisamt überlassen bleibt.
Die Entscheidung des Vormundschaftsgerichts ist mit Gründen zu versehen. Eine Ausfertigung derselben ist dem etwaigen Antragsteller, den Eltern oder, sofern diese nicht leben, den Großeltern, dem Vormund oder Pfleger, ferner der zuständigen Bürgermeisterei sowie der Staatsanwaltschaft bei dem vorgesetzten Landgerichte zuzustellen.