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Phöbus von Heinr. v. Kleist und Adam Müller 1. Jahrg. 1808, 6. Stück S. 8–17 ‘das Märchen von der langen Nase’; ebendaher sind die oben S. 474 angeführten dänischen und schwedischen Bearbeitungen entlehnt, denen man eine von Einsiedel abhängige Romanze Oehlenschlägers ‘Prindsessen med den lange Næse’ (Elberling, Oehlenschläger og de østerlandske Eventyr 1887 S. 79) anreihen kann.

Über die verschiedenen Märchen von den geraubten und wiedergewonnenen Zaubergaben ist noch Aarnes lichtvolle Übersicht in seinen Vergleichenden Märchenforschungen 1908 S. 83–142 (Mémoires de la société finno-ougrienne 25) zu vergleichen. Meist sind es drei Kleinode: das erste spendet Geld, das zweite bringt einen wohin man will, das dritte zaubert ein Heer herbei. Die Wiedergewinnung geschieht auf zwei Arten: entweder durch Gewalt mittels des dritten Kleinods[1] wie im Märchen vom Knüppel aus dem Sack (nr. 36) oder, wenn es eine treulose Königstochter zu überlisten gilt, durch Überreichung von zwei Arten von Früchten, deren entstellende und heilende Wirkung der Held zuvor selber erprobt hat; hierzu vgl. den Krautesel (nr. 122). Sicherlich benutzten die Verfasser des Fortunat-Romans und des italienischen Gedichtes Volksüberlieferungen, aber die von ihnen ausgehende literarische Wirkung spiegelt sich auch in den neueren Volksmärchen wieder. Die eigentlich aus Ovid (Metam. 10, 644. Wickram, Werke 8, 80) entlehnten ‘Äpfel von Damasco’ des Fortunat-Buches erscheinen im Drama (Harms S. 7) wie im vlämischen Märchen.


54a. Hans Dumm.

Es war ein König, der lebte mit seiner Tochter, die sein einziges Kind war, vergnügt; auf einmal aber brachte die Prinzessin ein Kind zur Welt, und niemand wußte, wer der Vater war. Der König wußte lang nicht, was er anlangen sollte, am Ende befahl er, die Prinzessin solle mit dem Kind in die Kirche gehen, da sollte ihm eine Zitrone in die Hand gegeben werden, und wem es die reiche, solle der Vater des Kinds und Gemahl der Prinzessin sein.


  1. So bei Hans Sachs und in den anfangs aufgezählten deutschen Erzählungen. Dagegen fehlt dies gewaltsame Mittel in den ältesten Fassungen der Gesta Romanorum und des Fortunat.
Empfohlene Zitierweise:
Johannes Bolte, Jiří Polívka: Anmerkungen zu den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm I. Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung, Leipzig 1913, Seite 485. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Grimms_M%C3%A4rchen_Anmerkungen_(Bolte_Polivka)_I_485.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)