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ist, wird es doch von ihren Klagen gerührt, macht auf und ißt von dem Apfel. Da ist es tot, und als die Zwerge kommen, können sie nicht helfen, und der Spiegel unter der Bank sagt der Königin, sie sei die schönste. Die sieben Zwerge aber machen einen silbernen Sarg, legen Sneewittchen hinein und setzen es auf einen Baum vor ihrer Höhle. Ein Königssohn kommt vorbei und bittet die Zwerge, ihm den Sarg zu geben, nimmt ihn mit, und daheim läßt er es auf ein Bett legen und putzen, als wär es lebendig, und liebt es über alle Maßen; ein Diener muß ihm auch beständig aufwarten. Der wird einmal bös darüber: ‘Da soll man dem toten Mädchen tun, als wenn es lebte!’ gibt ihm einen Schlag in den Rücken[1], da fährt der Apfelbissen aus dem Mund, und Sneewittchen ist wieder lebendig.

Eine Erzählung des Märchens aus Wien (1822) gibt folgenden Zusammenhang. Es sind drei Schwestern, Sneewittchen die schönste und jüngste; jene beiden hassen es und schicken es mit einem Laibel Brot und einem Wasserkrug in die Welt. Sneewittchen kommt zum Glasberg und hält den Zwergen Haus. Wenn die zwei Schwestern nun den Spiegel fragen, wer die schönste sei, antwortet er:

‘Die schönste ist auf dem Glasberge,
Wohnt bei den kleinen Zwergen.’

Sie senden jemand dorthin, der soll Sneewittchen vergiften. – Eine Anspielung auf das Märchen findet sich schon in einer Posse der englischen Komödianten, die Rist (Die Aller Edelste Belustigung Kunst und Tugendliebender Gemühter 1666 S. 104. Burg, Zs. f. dt. Alt. 25, 151) in seiner Jugend gehört haben will; dort erbietet sich der Schulmeister, neben andern Komödien die ‘von der schönen Frauen im Bergen mit ihren sieben Zwergen’ aufzuführen. – Musäus (Volksmärchen 1782 1, 90) weicht von der Richtung des Volksmärchens ab, wenn er in seiner ‘Richilde’ die eitle und mörderische Stiefmutter zur eigentlichen Heldin macht; die Frage an den Zauberspiegel lautet hier:

Spiegel blink, Spiegel blank,
Goldner Spiegel an der Wand,
Zeig mir die schönste Dirne in Brabant!


  1. Einfacher lautet eine Fassung von Stein (Randnotiz zur Ausgabe von 1812): Die Zwerge tragen den Sarg und wollen ihn begraben, da stolpern sie über einen Strauch, und durch das Schüttern fährt der Apfelknorz aus dem Hals.
Empfohlene Zitierweise:
Johannes Bolte, Jiří Polívka: Anmerkungen zu den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm I. Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung, Leipzig 1913, Seite 452. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Grimms_M%C3%A4rchen_Anmerkungen_(Bolte_Polivka)_I_452.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)