Seite:Grimms Märchen Anmerkungen (Bolte Polivka) I 411.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

als ‘Braut des Todes’ zu bezeichnen, erwuchs die Frage: Warum holt der Tod immer wieder eine neue Braut? Und darauf antwortet unser Märchen: ‘Weil keine sein gräßliches Mahl mit ihm teilen will’. Im Gegensatz zu Kretschmer nimmt Macculloch, Childhood of fiction p. 293 diesen Zug als Zeugnis für früheren Kannibalismus in Anspruch. Einzelne Fassungen übrigens wie die rumänische vereinigen beide Gehorsamsproben, das Menschenfleischessen und das verbotene Zimmer.

Den skandinavischen und russischen Versionen eigentümlich ist die Tiergestalt, die der Unhold annimmt, um das Mädchen in seine unterirdische Wohnung zu locken; in italienischen zieht ein Rettich oder Blumenkohl das Mädchen hinunter. Daß der Hexenmeister selber die Mädchen heimtragen muß, erinnert an die dänische Ballade von Rosmer (Grundtvig, DgF. 2, 72 nr. 41 und 4, 816. Grimm, Altdänische Heldenlieder 1811 S. 201), der auch, ohne es zu wissen, die erst geraubte Braut wieder auf dem Rücken fortträgt; vgl. das Märchen von Meermann bei Winther S. 74. Daß eine angekleidete Puppe die Braut vorstellen muß, wird ebenso im Märchen von der Häsichenbraut (nr. 66) erzählt und zeigt die Verwandtschaft. Die Verkleidung des Mädchens in einen Vogel, den der begegnende Hexenmeister nicht erkennt, gemahnt sowohl an die zur Fastnacht, bei Hochzeiten und andern Festen üblichen Vermummungen wie an Hans Sachsens Meisterlied ‘Der arm Krämer’ (1531. Sachs, Fabeln und Schwänke ed. Goetze 3, 83 nr. 26; vgl. Zs. f. vgl. Litgesch. 7, 456. 11, 71), wo der Teufel den ihm verfallenen Mann nur loslassen will, wenn er ihm unbekanntes Tier bringe, und die Frau sich nackt mit Teig bestreicht und in Vogelfedern wälzt.[1] Das


  1. Ebenso bei Nicolas de Troyes, Parangon de nouvelles nouv. 1869 p. 134 nr. 35 und in Schwankbüchern des 17. Jahrh. (Geest van Jan Tamboer 1664 S. 149. Mancherley Historien 1675 Bl. E4b. Ernst Wohlgemut, Traumender Musenfreund S. 89 nr. 98. Cubicularius, Lustige Gesellschaft Bl. D3b). Ferner Dähnhardt, Natursagen 1, 194. 350. Jegerlehner, Oberwallis S. 232. Traditionen zur Charakteristik Österreichs 1, 99 (1844). Zs. f. Volkskunde 11, 172. Schönwerth 3, 89. Wucke 1, 62. Pfister 1885 S. 35. Hansen nr. 7 (Zs. f. schleswig-holst. Gesch. 7, 230). Jahn 1, nr. 50. 51. Joos 1, 52. Wolf, Nld. Sagen nr. 459. De Cock, Brabantsch Sagenboek 1, 281. Wigström, Folkdiktning 2, 113. Bondeson, Halländska sagor nr. 18. Åberg nr. 107. Kryptadia 1, 59. 2, 206. 4, 197. Anthropophyteia 2, 180. Sébillot, C. de la Haute-Bretagne 1, 280. 284. Revue des trad. pop. 9, 82. Rolland, Faune populaire 5, 203. Contes lic. de l’Alsace 1906 nr. 28. Madelaine, Au bon
Empfohlene Zitierweise:
Johannes Bolte, Jiří Polívka: Anmerkungen zu den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm I. Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung, Leipzig 1913, Seite 411. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Grimms_M%C3%A4rchen_Anmerkungen_(Bolte_Polivka)_I_411.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)