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Polveris ut pilula brevis es, ut glomus hie erras.
Ast ubi dormieris, caveat castissima coniunx,
Erres ne subito mistus sub nocte tomento …

Andre hierher gehörige Sagen sind folgende: Einer war so dünnes Leibes, daß er durch ein Nadelöhr springen konnte. Ein andrer kroch an einem in der Luft hangenden Spinnegeweb behend hinauf und tanzte künstlich darauf, bis eine Spinne kam, ihm einen Faden um den Hals spann und ihm damit die Kehle zuschnürte. Ein dritter konnte mit seinem Kopf ein Sonnenstäubchen durchbohren und mit dem ganzen Leibe hindurchgehen. Ein vierter pflegte auf einer Ameise zu reiten, es geschah aber, daß ihn die Ameise herabwarf und mit einem Fuß tot trat. Ein fünfter wollte einmal Feuer anblasen und flog (wie in unserm Märchen) mit dem Rauch zum Schornstein hinaus. Ein sechster lag bei einem Schlafenden und wurde, als dieser etwas stark atmete, zum Fenster hinausgetrieben. Endlich ein siebenter war so klein, daß er sich niemand nahen durfte, weil er sonst mit der Luft beim Einatmen in die Nase gezogen wurde, wie der Schneider vom schlafenden Riesen in der Curieusen Reisebeschreibung des Herrn Androphili 1735 S. 424–430. Ähnliche Scherze über den kleinen Migrelin bei Tabourot des Accords, Touches 1648 S. 64 und in den französischen und italienischen Spottliedern auf den winzigen Ehemann (Rolland, Chants populaires nr. 26–27. Nigra, Canti popolari del Piemonte nr. 89)[1]. In Eucharius Eyerings Sprichwörtern (1601) erzählt eine Spinne 1, 198:

Einsmals fing ich ein Schneider stolz,
Der war so schwer als Lautenholz,
Der mit eim Schebhut in die Wett
Vom Himmel rab her fallen thät.
Er wär auch wohl darinnen blieben,
Niemand hätt ihn herausgetrieben;
Fiel in mein Garn, drin hangen blieb,
Nicht raus kunnt kommn, war mir nicht lieb,
Daß auch der Schebhut ohngefehr
Neun Tag eh rab her kam dann er.

Von den Schneidern berichtet ein Volkslied (Erk-Böhme, Liederhort nr. 1634. 1635), wie ihrer neunundneunzig einen gebratenen Floh essen und einen Fingerhut voll Wein trinken und vor einer


  1. Die Redensart ‘in rutae folium coicere’ bei Petronius c. 37 hat man ebenfalls auf ein Däumlingsmärchen bezogen.
Empfohlene Zitierweise:
Johannes Bolte, Jiří Polívka: Anmerkungen zu den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm I. Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung, Leipzig 1913, Seite 397. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Grimms_M%C3%A4rchen_Anmerkungen_(Bolte_Polivka)_I_397.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)