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34. Die kluge Else. 1856 S. 64.

1819 nr. 34, aus Zwehrn (von der Frau Viehmännin); eingesetzt für 1812 nr. 34 ‘Hansens Trine’, die Dortchen Wild am 29. Sept. 1811 zu Cassel im Garten den Brüdern erzählt hatte:

Hansens Trine war faul und wollte nichts tun. Sie sprach zu sich selber: ‘Was tu ich? Eß ich oder schlaf ich oder arbeit ich? Ach, ich will erst essen’. Als sie sich dicksatt gegessen hatte, sprach sie wieder: ‘Was tu ich? Arbeit ich oder schlaf ich? Ach, ich will erst ein bischen schlafen’. Dann legte sie sich hin und schlief, und wenn sie aufwachte, war es Nacht, da konnte sie nicht mehr zur Arbeit ausgehen; und so gings alle Tage. Einmal kam der Hans nachmittags nach Haus und fand die Trine wieder in der Kammer liegen und schlafen, da nahm er sein Messer aus der Tasche und schnitt ihr den Rock ab bis an die Knie. Trine wachte auf und gedacht: ‘Nun willst du zur Arbeit gehn’. Wie sie aber hinauskommt und sieht, daß der Rock so kurz ist, erschrickt sie, wird irr, ob sie auch wirklich die Trine ist, und spricht zu sich selber: ‘Bin ichs oder bin ichs nicht?’ Sie weiß aber nicht, was sie drauf antworten soll, steht eine Zeitlang zweifelhaftig, endlich denkt sie: ‘Du willst nach Haus gehn und fragen, ob dus bist; die werdens schon wissen’. Also geht sie wieder zurück, klopft ans Fenster und ruft hinein: ‘Ist Hansens Trine drinnen?’ Die andern antworten, wie sie meinen: ‘Ja, die liegt in der Kammer und schläft.’ – ‘Nun, dann bin ichs nicht’, sagt die Trine vergnügt, geht zum Dorf hinaus und kommt nicht wieder, und Hans war die Trine los.

Diese beiden Fassungen enthalten drei Motive: A. Die törichte Braut macht sich unnütze Gedanken über künftiges Unglück des noch nicht geborenen Kindes. – B. Ihr Freier oder Mann zieht aus, dümmere Frauen zu suchen (vgl. nr. 104 ‘Die klugen Leute’). – C. Als ihr ihr Kleid abgeschnitten oder ein Vogelgarn übergeworfen ist, wird sie an ihrer Identität irre (vgl. nr. 59 ‘Catherlieschen’). – Da jedoch die Motive A B nirgends als in der ersten hessischen Aufzeichnung mit C verbunden sind, behandeln wir zuerst die Gruppe A B für sich, dann C.

Die törichte Sorge um entfernte Möglichkeiten (A) begegnet zuerst in einem Gedicht Heinrich Göttings von Witzenhausen ‘Niemandt, wie fast Jedermann an ihm wil Ritter werden’ (Erfurt

Empfohlene Zitierweise:
Johannes Bolte, Jiří Polívka: Anmerkungen zu den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm I. Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung, Leipzig 1913, Seite 335. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Grimms_M%C3%A4rchen_Anmerkungen_(Bolte_Polivka)_I_335.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)