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antwortet, man solle Mutter und Kind bis zu seiner Heimkehr bewahren, einen Befehl beide zu töten unter.[1] Zum zweiten Male verstoßen, erhält die Heldin (im Walde oder jenseits des Meeres) durch ein Wunder ihre Hände wieder[2] und wird von einem Einsiedler (Senator) aufgenommen.[3] Schließlich entdeckt der König den Betrug, straft seine Mutter und findet Gattin und Kinder wieder. – Hier ist also die weitverbreitete Erzählung von der unschuldig verfolgten Frau[4] verbunden mit dem Motiv des unkeuschen Vaters, das uns auch in Allerleirauh (nr. 65) und in der Legende von der irischen Königstochter Dympna[5] begegnet.


  1. Die Briefvertauschung geht vom Vater (1), vom Teufel (18) oder einer Tante (6), gewöhnlich aber von der Schwieger der Heldin aus; sie findet nur einmal statt (1. 5. 8. 10. 17).
  2. Die Heilung der Hände geschieht während der zweiten Verbannung (1. 2. 10. 17. 18), nach derselben (4), in den Fassungen 12. 14. 16 und in einem Elfenbeinrelief des 14. Jahrh. (Montfaucon, Antiquité expliquée 3, 1 pl. 194) aber schon vor der Heirat. Anders die von Klapper. Mitt. der schles. Ges. f. Vk. 19, 45 angeführten Legenden. – In Poitou erhält die hl. Jouine von der Jungfrau Maria ihre abgehauenen Hände wieder (Mélusine 2, 446).
  3. Einsiedler (1. 17), Senator (3. 4. 7. – 5. 9. 11. 12. 13. 15). Mischformen sind 2, 8, 14.
  4. Massmann, Kaiserchronik 3, 893–917. Grundtvig, DgFv. 1, 177–204. Chauvin, Bibl. arabe 6, 167: Crescentia, Hildegardis, Florentia, Octavianus, Sibylla, Genovefa, Hirlanda usw. Wickram, Werke 1, VI. R. Köhler 1, 582.
  5. Dympna entflieht der Werbung ihres Vaters, kommt als Spielmann verkleidet nach Antwerpen und gründet das Kloster Gheel (Acta sanctorum Maii 3, 478. D’Ancona, Rappresentazioni 3, 239. Cox, Cinderella p. LXV). Auch im deutschen Gedicht von St. Oswald (ed. Ettmüller 1835. Zs. f. d. Alt. 2, 92) wird die Absicht König Aarons, seine Tochter zu ehelichen, nicht ausgeführt; sie droht ihm, mit einem Spielmann aus dem Lande zu ziehen, wenn er sie einem Heiden vermähle. In den katalanischen und portugiesischen Romanzen von Sylvana, Margarita oder Delgadina (Milá, Romancerillo nr. 29 und 272. Hardung, Romanceiro portuguez 1, 128. Jahrbuch f. roman. Lit. 3, 284. Briz, Cansons de la terra 4, 17) sperrt der König die seiner Leidenschaft widerstrebende Tochter in den Hungerturm. In einer norddeutschen Sage bei Kuhn-Schwartz S. 184 nr. 208 verspricht Kaiser Heinrich I. seiner Tochter, von seinem Begehren abzulassen, wenn sie einen Teppich wirke, auf der alle Tiere zu schauen seien; das bringt sie mit des Teufels Hilfe zustande. Die sündige Liebe des Vaters ist verdunkelt in der bretonischen Ballade ‘Sainte Henori’ (Luzel, Gwerziou Breiz Izel 1, 60). – Über antike Sagen von dem für die Tochter entbrannten Vater vgl. Rohde, Der griech. Roman S. 420.
Empfohlene Zitierweise:
Johannes Bolte, Jiří Polívka: Anmerkungen zu den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm I. Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung, Leipzig 1913, Seite 301. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Grimms_M%C3%A4rchen_Anmerkungen_(Bolte_Polivka)_I_301.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)