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Teufel fuhr auf: ‘Was hast du vor, Frau, was raufst du mich?’ – ‘Ach, ich hatte einen schweren Traum, da muß ich es in der Angst getan haben’. – ‘Wovon hast du denn geträumt?’ – ‘Mir träumte von einer Prinzessin, die war sterbenskrank, und kein Arzt war auf der Welt, der sie heilen konnte.’ – ‘Warum tun sie nicht die weiße Unke weg, die unter ihrem Bett steckt!’ Damit legte er sich auf die andere Seite und schlief wieder ein. Als ihn die Frau schnarchen hörte, faßte sie das zweite Haar, riß es aus und warf es unter das Bett. Der Teufel sprang auf: ‘Ei so soll dich! Bist du toll geworden? Du reißt mich ja wieder entsetzlich in den Haaren.’ – ‘Ach lieber Mann, ich stand vor einem großen Marktbrunnen; die Leute jammerten, weil kein Wasser darin war, und fragten mich, ob ich keine Hilfe wisse. Da guckte ich hinein, er war so tief, daß mir schwindlig wurde; ich wollte mich halten, und da bin ich dir in die Haare geraten.’ – ‘Du hättest nur sagen sollen, sie müßten den weißen Stein herausholen, der unten liegt. Aber laß mich mit deinen Träumen in Ruh!’ Er legte sich wieder und schnarchte bald so abscheulich wie vorher. Die Frau gedacht: Du mußt es noch einmal wagen, und riß auch das dritte Goldhaar heraus und warfs hinunter. – Der Teufel fuhr in die Höh und wollte übel wirtschaften, die Frau aber besänftigte ihn, küßte ihn und sagte: ‘Das sind böse Träume. Ein Mann zeigte mir einen Feigenbaum, der verdorren wollte, und klagte, daß er keine Früchte trage. Da wollte ich an den Baum schütteln, ob wohl noch etwas herabfalle, und da habe ich deine Haare geschüttelt’. – ‘Das wäre auch umsonst gewesen. An der Wurzel nagt eine Maus; wenn die nicht getötet wird, so ist der Baum verloren; ist die erst tot, dann wird er schon wieder frisch werden und Früchte tragen. Aber plag mich nicht mehr mit deinen Träumen! Ich will schlafen, und wenn du mich noch einmal aufweckst, so kriegst du eine Ohrfeige.’ – Der Frau war angst vor dem Zorn des Teufels, aber der arme Holzhauer mußte noch etwas wissen, das wußte der Teufel allein. Da zupfte sie ihn an der Nase und zog ihn in die Höh. Der Teufel sprang wie unsinnig auf und gab ihr eine Ohrfeige, daß es schallte. Die Frau fing an zu weinen und sagte: ‘Willst du, daß ich ins Wasser falle? Ein Fischer hatte mich über den Strom gefahren, und als der Nachen ans Ufer kam, stieß er an. Da fürchtete ich mich zu fallen und wollte mich an den Stamm halten, woran die Kette festgenagelt wird, da hab ich mich an deine Nase gehalten.’ – ‘Warum hast du nicht achtgegeben? Das tut der Nachen jedesmal.’ – ‘Der Fischer klagte mir, daß niemand komme ihn abzulösen und er seiner Arbeit kein Ende sehe.’ – ‘Er muß den ersten, der kommt, anhalten, so lange zu fahren, bis ein dritter kommt, der ihn wieder ablöst, so ist ihm geholfen. Aber du träumst kurios; das ist wahr mit dem Schiffer und das andere auch.

Empfohlene Zitierweise:
Johannes Bolte, Jiří Polívka: Anmerkungen zu den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm I. Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung, Leipzig 1913, Seite 280. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Grimms_M%C3%A4rchen_Anmerkungen_(Bolte_Polivka)_I_280.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)