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würde, fräße er Euch auf mit Haut und Haar. Doch will ich sehen, wie ich Euch zu den drei Federn verhelfe; alle Tage kommt er hierher, da muß ich ihn mit einem engen Kamm kämmen. Geschwind hier unter den Tisch!’ Der war rundum mit Tuch beschlagen.

Indem kam der Vogel Phönix heim, setzte sich oben auf den Tisch und sprach: ‘Ich wittere, wittere Menschenfleisch’. – ‘Ach was, Ihr seht ja wohl, daß niemand hier ist.’ – ‘Kämm mich nun’, sprach der Vogel Phönix. Das weiße Mamsellchen kämmte ihn nun, und er schlief darüber ein. Wie er recht fest schlief, packte sie eine Feder, zog sie aus und warf sie untern Tisch. Da wachte er auf: ‘Was raufst du mich so? Mir hat geträumt, es käme ein Mensch und zöge mir eine Feder aus.’ Sie stellte ihn aber zufrieden, und so gings das anderemal und das drittemal.

Wie der junge Mensch die drei Federn hatte, zog er damit heim und bekam nun seine Braut.

Die andere Aufzeichnung von 1812 (nr. 29) enthält nur den zweiten Teil des Märchens und leitet es damit ein, daß eine Prinzessin sich in einen Holzhacker verliebt, und daß ihr Vater die Heirat nur zugeben will, wenn der Jüngling ihm die drei goldenen Haare des Teufels bringe. In der weiteren Entwicklung zeigen die zwei ersten aufgetragenen Fragen eine geringe Abweichung; als er die Antwort bringt, erhält er zur Belohnung außer Geld auch zwei Regimenter Fußvolk und Reiterei, womit er den alten König bewegt, sein Wort zu halten. Der Wortlaut ist:

Ein Holzhacker hackte vor des Königs Haus Holz; oben am Fenster stand die Prinzessin und sah ihm zu. Als es Mittag war, setzte er sich in den Schatten und wollte ruhen; da sah die Prinzessin, daß der Holzhacker sehr schön war, und verliebte sich in ihn und ließ ihn heraufrufen, und als er die Prinzessin erblickte und sah, wie schön sie war, verliebte er sich wieder in sie. Da waren sie bald in ihrer Liebe einig; aber dem König ward verraten, daß die Prinzessin einen Holzhacker lieb habe. Als der König das hörte, ging er zu ihr und sagte: ‘Du weißt, daß der dein Bräutigam wird, der die drei goldenen Haare bringt, die der Teufel auf dem Kopf hat, er mag nun ein Prinz oder ein Holzhacker sein’. Er gedachte aber: ‘Kein Prinz ist noch so mutig gewesen, daß er es gekonnt, so wird ein schlechter Holzhacker es noch weniger können.’ Die Prinzessin war betrübt; denn es waren schon viele Prinzen umgekommen, welche die drei goldenen Haare beim Teufel holen wollten. Weil aber kein anderes Mittel übrig blieb, so entdeckte sie dem Holzhacker, was ihr Vater gesagt hatte. Der Holzhacker war gar nicht betrübt und sagte: ‘Das soll mir schon gelingen; bleib mir nur getreu, bis ich wiederkomme! Morgen früh zieh ich aus’.

Empfohlene Zitierweise:
Johannes Bolte, Jiří Polívka: Anmerkungen zu den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm I. Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung, Leipzig 1913, Seite 278. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Grimms_M%C3%A4rchen_Anmerkungen_(Bolte_Polivka)_I_278.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)