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sondern bewirkt durch eine List,[1] daß er als Dieb zum Tode verurteilt wird. Der Wiederbelebte heilt nun eine kranke Prinzessin oder einen Fürsten und erlangt dadurch die Macht, die beiden Schuldigen zu bestrafen. Bei Finamore nr. 42 sinkt die Frau augenblicklich tot nieder, als ihr Gatte vor sie tritt, bei Němcová aber und im rumänischen Märchen versöhnt sich der allzu weichmütige Mann wieder mit ihr. Da diese Abweichungen durchweg als Entstellungen zu betrachten sind, fragen wir weiter nach dem Ursprunge der soviel altertümliche Züge enthaltenden deutschen Erzählung.

Daß die Frau verlangt, der überlebende Gatte solle sich mit ihr begraben lassen, wird in Sindbads vierter Reise (Chauvin, Bibl. arabe 7, 19. 74. Auch Serucci nr. 48 S. 399) als eine Sitte auf einer der Sunda-Inseln bezeichnet und ist auch anderwärts nachgewiesen (Liebrecht, Zur Volkskunde S. 380. 508. Germania 29, 357. Gering, Isl. æventyri nr. 82. Über die russische Sage von Michael Potok s. Liebrecht S. 41 und Polívka, Zs. f. Vk. 13, 405). In der nordischen Sage (Saxo Grammaticus B. 5, S. 162 Holder. Egils Saga og Asmundar) geben sich Asmund und Aswit, als sie Blutbrüderschaft machen, ein ähnliches Versprechen; Asmund läßt sich hernach mit dem toten Aswit in den Grabhügel bringen, nimmt aber einen Vorrat von Lebensmitteln mit, die ihn eine Zeitlang erhalten; darauf wird er durch einen glücklichen Zufall heraufgezogen.

Das den Schlangen bekannte Lebenskraut erscheint schon in der altgriechischen Sage (Apollodor 3, 3, 1. Hygin, Fab. 136. Rohde, Der griechische Roman S. 125. 529²): Polyidos sollte dem Glaukos das Leben wiedergeben, konnte es aber nicht; darum ließ ihn der erzürnte Vater zu der Leiche in das Grabmal verschließen. Polyidos sah, wie eine Schlange auf den toten Glaukos schlüpfte, und erschlug sie; bald kam eine zweite Schlange und trug ein Kraut im Munde, das sie auf die getötete legte, wovon diese alsbald wieder lebendig wurde. Schnell ergriff Polyidos das Kraut, legte es auf den Glaukos, und er erhielt das Leben wieder. Ähnlich in den Novelle antiche 12 (Papanti, Catalogo dei novellieri italiani 1, Aggiunte S. XXIV. Romania 3, 190), im Brüdermärchen bei Basile 1, 7, Schott S. 142, Sklarek nr. 10, Schleicher S. 57, bei Hošek S. 73 nr. 26. Im Lai von Eliduc der Marie de France (Lais hsg.


  1. Sie läßt ihm ein kostbares Besteck in die Tasche stecken, wie Joseph dem Benjamin einen silbernen Becher; vgl. Zs. f. Volkskunde 13, 142. 407. R. Köhler 3, 228.
Empfohlene Zitierweise:
Johannes Bolte, Jiří Polívka: Anmerkungen zu den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm I. Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung, Leipzig 1913, Seite 128. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Grimms_M%C3%A4rchen_Anmerkungen_(Bolte_Polivka)_I_128.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)