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als das Spinnen, und deshalb zum Abschied bei einer Reise seinen Töchtern einen großen Kasten mit Flachs zurückgelassen, der bei seiner Wiederkehr gesponnen sein sollte. Um sie zu befreien, ladete die Königin jene drei mißgestalteten Jungfrauen ein und brachte sie dem König bei seiner Ankunft vor die Augen.

J. Prätorius erzählt im Abenteuerlichen Glückstopf 1669 S. 404–406 das Märchen folgendergestalt: Eine Mutter kann ihre Tochter nicht zum Spinnen bringen und gibt ihr darum oft Schläge. Ein Mann, der das einmal mit ansieht, fragt, was das bedeuten solle. Die Mutter antwortet: ‘Ich kann sie nicht vom Spinnen bringen; sie verspinnt mehr Flachs, als ich schaffen kann.’ Der Mann sagt: ‘So gebt sie mir zum Weib! Ich will mit ihrem unverdrossenen Fleiß zufrieden sein, wenn sie auch sonst nichts mitbringt.’ Die Mutter ist von Herzen gern zufrieden, und der Bräutigam bringt der Braut gleich einen großen Vorrat Flachs. Davor erschrickt sie innerlich, nimmts indessen an, legts in ihre Kammer und sinnt nach, was sie anfangen solle. Da kommen drei Weiber vors Fenster, eine so breit vom Sitzen, daß sie nicht zur Stubentüre herein kann, die zweite mit einer Ungeheuern Nase, die dritte mit einem breiten Daumen. Sie bieten ihre Dienste an und versprechen das Aufgegebene zu spinnen, wenn die Braut am Hochzeittage sich ihrer nicht schämen, sie für Basen ausgeben und an ihren Tisch setzen wolle. Sie willigt ein, und sie spinnen den Flachs weg, worüber der Bräutigam die Braut lobt. Als nun der Hochzeittag kommt, so stellen sich die drei abscheulichen Jungfern auch ein; die Braut tut ihnen Ehre an und nennt sie Basen. Der Bräutigam verwundert sich und fragt, wie sie zu so garstiger Freundschaft komme. ‘Ach,’ sagt die Braut, ‘durchs Spinnen sind alle drei so zugerichtet worden; die eine ist hinten so breit vom Sitzen, die zweite hat sich den Mund ganz abgeleckt, darum steht ihr die Nase so heraus, und die dritte hat mit dem Daumen den Faden so viel gedreht.’ Darauf ist der Bräutigam betrübt worden und hat zur Braut gesagt, sie sollte nun ihr Lebtage keinen Faden mehr spinnen, damit sie kein solches Ungetüm würde.

Eine dritte Erzählung aus der Oberlausitz, die Th. Pescheck in Büschings wöchentlichen Nachrichten für Freunde der Geschichte des Mittelalters 1, 355–360 (Breslau 1816) = Haupt, Sagenbuch 2, 197 mitteilt, stimmt mit Prätorius im ganzen überein. Die eine von den drei Alten hat triefende Augen, weil ihr die Unreinigkeiten des Flachses hineingefahren sind; die zweite einen großen Mund von

Empfohlene Zitierweise:
Johannes Bolte, Jiří Polívka: Anmerkungen zu den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm I. Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung, Leipzig 1913, Seite 110. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Grimms_M%C3%A4rchen_Anmerkungen_(Bolte_Polivka)_I_110.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)