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zu Ende ist, will es ihm auch den Hals abschneiden; aber in dem Augenblick schlägt es zwölf, und es verschwindet. Angeknüpft ist dann hier die Sage von dem getöteten Drachen, dem er die Zunge ausschneidet, womit er sich späterhin als Sieger ausweist und die Königstochter gewinnt, wie sie in dem Märchen von den Goldkindern (nr. 85) ausführlich vorkommt.

Eine sechste Erzählung aus Zwehren verdient unabgekürzt hier mitgeteilt zu werden.

Es ist einmal einer in der Welt gewesen, dessen Vater war ein Schmied, den haben sie auf den Totenhof und aller Orten hingebracht, wo es fürchterlich ist, aber er hat sich nicht gefürchtet. Da sprach sein Vater: ‘Komm nur erst in die Welt, du wirst es schon noch erfahren’. Da ging er fort, und es trug sich zu, daß er nachts in ein Dorf kam, und weil alle Häuser verschlossen waren, legte er sich unter den Galgen. Und als er einen daran hängen sah, redete er ihn an und sprach: ‘Warum hängst du da?’ Da antwortete der Gehenkte: ‘Ich bin unschuldig, der Schulmeister hat das Glöckchen vom Klingelbeutel gestohlen und mich als den Dieb angegeben. Wenn du mir zu einem ehrlichen Begräbnis hilfst, so will ich dir einen Stab schenken, womit du alle Gespenster schlagen kannst. Das Glöckchen hat der Schulmeister unter einen großen Stein in seinem Keller versteckt.’ Als er das gehört hatte, machte er sich auf, ging in das Dorf vor des Schulmeisters Haus und klopfte an. Der Schulmeister stand auf, wollte aber seine Tür nicht öffnen, weil er sich fürchtete; da rief jener: ‘Wo du deine Tür nicht aufmachst, so schlag ich sie ein’. Nun öffnete sie der Schulmeister, und jener packte ihn gleich im Hemde wie er war, nahm ihn auf den Rücken und trug ihn vor des Richters Haus. Da rief er laut: ‘Macht auf, ich bringe einen Dieb’. Als der Richter herauskam, sprach er: ‘Hängt den armen Sünder draußen vom Galgen herab, er ist unschuldig, und hängt diesen dafür hin! Er hat das Glöckchen vom Klingelbeutel gestohlen, es liegt in seinem Keller unter einem großen


    Federowski 1, nr. 174. – Ein Barbier rasiert eine spukende Prinzeß, der einst zur Strafe für ihren Hochmut ein Bart gewachsen war: weißrussisch Federowski 2, nr. 402 und Romanow 4, 43 nr. 32; litauisch Dowojna Sylwestrowicz 1, 204. In einem slowakischen Märchen Sborník mus. slov. spol. 16, 9 schert der nach dem goldenen Vogel und Käfig ins verwünschte Schloß ziehende Held einem Alten den bis auf die Erde reichenden Bart und schneidet einem andern die Haare ab. Ähnlich kleinrussisch aus Südungarn. Etnograf Zbirnyk 5, 97.

Empfohlene Zitierweise:
Johannes Bolte, Jiří Polívka: Anmerkungen zu den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm I. Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung, Leipzig 1913, Seite 25. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Grimms_M%C3%A4rchen_Anmerkungen_(Bolte_Polivka)_I_025.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)