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er zog sie ohne Mühe heraus, und hängte sie an dem Goldbande sich um die Schulter, und kletterte wieder hinab.

Als er aber wieder hinaussteigen wollte über die Mauer nach dem Burghofe, da wandte er sich noch einmal zu dem Grabhügel und sang zu den Tönen der Zither:

Leb’ wohl, du Mütterlein,
Im grünen Hügelein!
Dein Knabe zieht von hinnen,
Dir Ruhe zu gewinnen.
Sollst fürder nicht aus Grabes Ruh
Erwachen, holde Mutter du!
Und bis der Herr die Seinen ruft,
Daß sie ersteh’n aus dunkler Gruft,
Schlaf süß! schlaf süß,
Und träume dich ins Paradies.

Und als er diese Worte gesungen, schwang er sich die hohe Mauer hinauf und hinüber in den Burghof. Dann schlich er sich stille in seine Kammer, und schnallte Sporn und Schwert um. Als er aber hinausgehen wollte, sah er den alten Leuthold in der Vorhalle liegen, und der Mond beschien ihm seine ehrwürdigen Locken, und erleuchtete ihm sein mildes Gesicht. Da gedachte er bei sich: „Der Vater muß dich nun wohl beweinen, als verloren, das ist zu seiner Seele Nutz und Frommen. Aber der alte Mann, der deine zarte Jugend beschützt, und dich getragen und gepflegt mit mehr Liebe, als ein leiblicher Vater thut, der müßte ja trostlos vertrauern, wenn du von hinnen zögest, ohne

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Albert Ludwig Grimm: Lina’s Mährchenbuch, Band 2. Julius Moritz Gebhardt, Grimma [1837], Seite 101. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Grimm_Linas_Maerchenbuch_II_101.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)