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Bei hellem Tage sah man ihn leibhaftig über den Hof, gehen und des Nachts rumorte es auf den Dächern wie von schweren Fußtritten, daß die Balken knackten. Weiber fielen in Ohnmacht, Männer rannten wie besessen davon. Und das ganze Thal war der Meinung: „Dieses ist ein schweres Unglück für uns!“

Im nächsten Sommer landete ein Schiff am Nordstrande. Es führte als Passagier mit sich einen Ausländer, Namens Torgoet, knochig, groß und von der Stärke zweier Männer.

Er war los und ledig, besaß nichts und suchte einen Dienst.

Thorhall ritt zum Schiff hinab, den Mann zu mieten, welcher auch gerne zusagte.

„Aber der Platz auf meinem Hofe ist kein Platz für einen Feigling,“ sagte Thorhall ehrlich. „Es spukt dort.“

„Ich verliere den Mut nicht, wenn ich Gespenster sehe,“ sagte der Fremde. „Das muß schon etwas sehr arges sein, was mich bange macht!“ –

„Gut, so komme zu mir!“ Sie würden handelseinig.

Thorgoet kam auf den Hof, verrichtete seinen Dienst als Schafknecht geschickt, treu und willig und war bei allen beliebt.

Glam huschte oft über den Hof und polterte des Nachts auf dem Dache, aber Thorgoet sagte gelassen: „Der Bursche muß mir näher kommen, wenn ich mich fürchten soll.“

Thorhall warnte: „Es ist besser, daß ihr euch mit einander nicht einlasset.“

„Ihr seid doch wunderlich furchtsame Leute hier,“ meinte der Knecht. „Glaubt nicht, daß ich tot auf den Rücken falle, wenn ich von diesem Glam sprechen höre.“

Unterdessen verlief der Winter ohne besondere Zwischenfälle bis zum Weihnachtsfeste. Am heiligen Abende zog der Schafhirte, wie üblich, hinaus mit dem Vieh. „Gott behüt’ dich heute“, sagte die Hausmutter, „daß wir nicht wieder dasselbe Unglück erleben, als vor einem Jahr.“

„Sei ohne Sorge, liebe Hausmutter,“ erwiderte der Knecht. „Und komme ich nicht wieder“, setzte er scherzend hinzu, „nun, dann habt ihr eine Geschichte mehr euch zu erzählen!“ –

Zuversichtlich ging er fort.

Das Wetter war kalt mit starkem Schneegestöber.

Thorgoet pflegte sonst in der Dämmerung nach Hause zu kommen, aber an diesem Abend kam er nicht.

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Dagobert Schoenfeld: Gretter der Starke. Schuster & Loeffler, Berlin 1896, Seite 74. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gretter_der_Starke.pdf/92&oldid=- (Version vom 1.8.2018)