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Es war in Thorhallsstaetten eine christliche Kapelle. Denn um das Jahr 1000, wenige Jahre vor Gretters Geburt, war auf dem Althing das Christentum als Landesreligion angenommen. Aber Glam ging niemals zur Kirche, auch sah man ihn nie seine Gebete sprechen. Ja, die Leute auf dem Hofe sagten zu einander: „Der Glam glaubt an keinen Gott!“ –

Das grub die Kluft zwischen ihnen und dem unheimlichen Gast nur noch tiefer. Der Tag vor Weihnachten kam heran. Glam stand an diesem Tage früh auf und verlangte sein Essen.

Die Hausfrau sagte: „Am heutigen Tage pflegen christliche Leute zu fasten, denn morgen ist der erste Weihnachtstag!“ –

Glam erwiderte: „Ihr treibt viele lächerliche Dinge ohne den geringsten Nutzen. Ich glaube nicht, daß die Leute jetzt besser sind, als ehedem, da man von solchen Narrenspossen noch nichts wußte. Im Gegenteil, sie waren damals, als sie Heiden genannt wurden, viel vernünftiger, als heute. Ich will mein Essen haben, heut’ so gut, als sonst, und kein Geschwätz dazu.“

Die Hausmutter warnte noch einmal: „Ich weiß gewiß, daß es dir heute übel aufschlagen wird, wenn du eine so unchristliche That begehst!“ –

Glam forderte augenblicklich sein Essen.

„Sonst sei auf das Schlimmste gefaßt, Frau,“ drohte er.

Gudrun wagte nun nicht mehr zu widersprechen und fügte sich.

Als Glam sich satt gegessen hatte, ging er mit den Schafen hinaus, trotzig und in übelster Laune.

Die Luft war dick und nebelschwer. Es fielen große Schneeflocken. Nach allen Windrichtungen hin hörte man ein Heulen und Pfeifen in der Luft. Und gegen Abend wurde das Wetter noch schlechter.

Vormittags hörte man noch deutlich von oben herab die grobe Stimme des Schafhirten. Nachmittags wurde sie schwächer und schwächer. Gegen Abend fiel nun der Schnee ganz dicht, und es erhob sich ein Sturm.

Die Leute kamen aus dem Vespergottesdienst zurück, aber der Glam war noch nicht zu Hause.

Thorhall wollte nach ihm suchen lassen, aber Schneesturm und Finsternis verhinderten es.

Auch über Nacht war Glam nicht nach Hause gekommen, und man verschob nun das Nachsuchen nach ihm bis hinter den Vormittagsgottesdienst des ersten Weihnachtsfeiertages.

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Dagobert Schoenfeld: Gretter der Starke. Schuster & Loeffler, Berlin 1896, Seite 72. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gretter_der_Starke.pdf/90&oldid=- (Version vom 1.8.2018)