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Oben wehte frisch die Morgenluft, und die Sterne erbleichten vor dem aufflammenden Frührot. Gretter reckte sich und schlug fröstelnd die Arme in[1] einander. Die Glieder waren ihm ganz steif geworden von dem Ringen mit dem alten Kaar. Dann zog er den Schatz an dem Riemen vorsichtig in die Höhe. Er lud den schweren Kasten auf die Schulter und ging nach Torfins Hof hin.

Hier saß der Hausherr mit seinen Leuten bereits beim Frühmahle.

Als Gretter in die Halle trat, sah Torfin ihn zornig an und fragte: „Was hast du denn so Dringendes zu thun, daß du dich nach anderer Leute Speisezeit nicht richten kannst?“ –

Gretter antwortete: „Viele Kleinigkeiten fallen vor über Nacht!“ und setzte den schweren Kasten auf den Tisch. Den Deckel klappte er auf. Gold und Silber lag gehäuft darin. Dann zog er Kaars Schwert unter dem Mantel hervor und legte es oben über den Schatz.

Torfin’s Augenbrauen hoben sich, als er dieses Schwert sah; denn es war ein Kleinod seines Hauses, vererbt von Geschlecht zu Geschlecht, von hohem Alter und kostbarster Arbeit.

„Wo hast du diesen Schatz her?“ fragte Torfin.

Gretter sang:

Zu deinem Ahn
Stieg ich hinab
Und holte den Schatz
Aus seinem Grab.
Die Flamme täuschte die Hoffnung nicht! –
Das wagt nur ein Mann!
Kein feiger Wicht! –

Torfin antwortete: „Man sieht, vor Kleinigkeiten ist dir nicht bange, denn niemand hat bisher die Lust verspürt, jenen Hügel aufzubrechen. Aber, weil ich weiß, daß Geld und Gut, in der Erde verscharrt, schlecht angewandt sind, und weil du mir den Schatz brachtest, so will ich dir keine Vorwürfe machen.“

Und das Schwert ergreifend, welches einst sein Vater trug und so liebte, daß er es selbst im Tode nicht missen wollte, strich er zärtlich mit der Hand über die Klinge hin und sagte: „Um dieses Schwertes willen sei dir verziehen! – Es ist ein großer Schatz!“ –


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: tn


Empfohlene Zitierweise:
Dagobert Schoenfeld: Gretter der Starke. Schuster & Loeffler, Berlin 1896, Seite 28. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gretter_der_Starke.pdf/46&oldid=- (Version vom 1.8.2018)