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Mit beiden Händen anpackend, trug er ihn dorthin, wo das Ende des Seils herabhängen mußte. Er fand es.

In diesem Augenblicke packte Jemand ihn, den Gretter, von hinten an. Er ließ den Kasten fallen und drehte sich um. Zwei starke Arme schlangen sich um seinen Leib, und ein kalter Hauch durchdrang ihn. Es entstand ein Kampf. Sie griffen einander nicht sanft in die Hüften und rangen miteinander. Alles, woran sie stießen, zerbrach. Der Hügelbewohner kämpfte angriffsweise, Gretter hielt sich in der Verteidigung. Endlich sah er, daß es hier gelte, seine Kräfte ganz zu gebrauchen. Nun schonte keiner von beiden mehr den anderen. Ringend zerrten sie sich hierhin, dorthin. Wo das Pferdegerippe lag, packten sie sich am schärfsten an und fielen wechselseitig in die Kniee.

Endlich stürzte der Hügelbewohner rücklings über, und unter dem Sturze gab es einen donnergleichen Krach.

Oedun, der oben am Seile stand und horchte, glaubte, daß Gretter gestorben sei, verließ den Platz und, von Grauen überwältigt, floh er nach Hause.

Gretter war nicht tot. Er war der Sieger. Der Höhlenbewohner lag zu seinen Füßen. Nun setzte ihm Gretter das Knie auf die Brust und griff nach seinem Schwerte. Es war das Schwert Joekulsnaut[1], das die Mutter ihm scheidend in die Hand gedrückt. Nun sollte dieses Schwert ihm den ersten Dienst leisten. Mit seiner scharfen Schneide hieb er dem Höhlenbewohner nach dem Halse, sodaß der Kopf von dem Rumpf sich trennte. Er ergriff den Kopf und stellte ihn sorglich dem todten Manne an das Ende seines Rückens.

Nach altnordischem Glauben verhinderte diese Aufstellung des Kopfes das fernere Spuken des Toten.

Kaar, der Alte, trug ein kurzes Schwert umgegürtet. Gretter schnallte es ab und warf den Gurt um seine Schulter. Dann griff er nach dem Kasten und trug den Schatz nach dem Tauende hin. Jetzt rief er nach Oedun hinauf. Keine Antwort! Er wiederholte lauter den Ruf. Vergeblich! Er rüttelte an dem Seil[2]. Niemand erwiderte das Zeichen.

„Beide Hände brauche ich, sprach er zu sich selbst, um an dem Seil hinaufzuklettern! Und der Schatz? – Wie bring’ ich den hinauf?“

Tastend fand er einen Riemen in der Grabkammer. Er prüfte seine Stärke und legte ihn um den Kasten. Das Ende des Riemens aber schlang er um seinen Arm. So stieg er am Tau hinauf.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. isl. Jökulsnaut
  2. Vorlage: Zeil


Empfohlene Zitierweise:
Dagobert Schoenfeld: Gretter der Starke. Schuster & Loeffler, Berlin 1896, Seite 27. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gretter_der_Starke.pdf/45&oldid=- (Version vom 1.8.2018)