Seite:Gretter der Starke.pdf/27

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Eis und Glut: die Glieder des Leibes vor allem beherrschen zu können, war der Erziehung Ziel. Ein wohlerzogener Jüngling mußte können schwimmen und springen, laufen und ringen[1], fechten und reiten. Er mußte den Speer des Gegners in der Luft auffangen und wieder auf den Gegner zurückschleudern. Er mußte ein Schwert so schnell schwingen können, daß es aussah, als wenn es drei Schwerter wären. Er mußte mit der linken Hand in allen Dingen so geübt sein, als mit der rechten.

Doch auch den Geist vernachlässigte die Erziehung nicht. Schulen freilich fehlten; aber das Haus erzog, die Kameradschaft, das öffentliche Leben. Ein Lied aus dem Stegreif dichten zu können, war für jeden jungen Isländer eben so wichtig als Schwimmen und Fechten. Aus ihnen heraus bildeten sich die Skalden[2], welche im Besitz herrlicher Gesänge die Königshöfe von Norwegen, Schweden, Dänemark mit Ehren besuchten und köstliche Geschenke heimbrachten. Auch gesetzeskundig zu sein, galt bei einem jungen Isländer für ebenso preiswert, als tapfer zu sein.

Was der Mann mit Waffen einst zu leisten hatte, das übte der Knabe vorausbildend im Spiele.

So war allgemein beliebt das Ballspiel. Große Lederbälle wurden mit einem Schlagholz durch die Luft getrieben. Der Gegner mußte den Ball auffangen und auf demselben Wege zurückschleudern. So übte man Geschicklichkeit und Kraft.

Es war Sitte, ein ganzes Turnier auf diese Weise zu veranstalten. Die benachbarten Gemeinden kamen auf einem bestimmten Platze zusammen und ergötzten sich an dem Wettstreit ihrer Kinder. Meist geschah das im Herbst. Zuweilen länger als eine Woche blieb man zusammen und herbergte in aufgeschlagenen Zelten. Diese gemeinschaftlichen, großen Spiele waren oft der Glanzpunkt des ganzen Jahres.

Damals lebten rings um den Midfjord und in dem benachbarten Vidithale[3] auf den zerstreuten Edelsitzen folgende Jünglinge, gleichalterig, befreundet und zum Theil verwandt: Besse[4] aus Torfustetten[5], der nicht bloß ein guter Ballspieler, sondern auch ein guter Sänger war; die Brüder Kormak[6] und Thorgils[7] aus Mel; Odd[8] mit dem Beinamen Umagaskald[9], d. h. der einsame Skalde; die Brüder Rolf[10] und Thorwald[11] auf Asgeirsau[12]; dann Oedun[13] auf Oedunstetten[14] und die Brüder Atle und Gretter aus Bjarg.

Atle hatte für diesmal die Leitung des Spieles übernommen und
Anmerkungen (Wikisource)

  1. vgl. Glíma
  2. vgl. Skalde
  3. isl. Víðidalur
  4. isl. Bersi
  5. isl. Torfustaðir
  6. isl. Kormákur
  7. isl. Þorgils
  8. isl. Oddur
  9. isl. ómagaskáld
  10. isl. Kálfur
  11. isl. Þorvaldur
  12. isl. Ásgeirsá
  13. isl. Auðunn
  14. isl. Auðunarstaðir


Empfohlene Zitierweise:
Dagobert Schoenfeld: Gretter der Starke. Schuster & Loeffler, Berlin 1896, Seite 9. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gretter_der_Starke.pdf/27&oldid=- (Version vom 1.8.2018)