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finden, der dich dauernd aufnimmt. Selbst deine eigene Mutter kann das nicht. Einige Tage sei mein Gast, dann ziehe weiter!“ –

„Wohin?“ sagte Gretter. „Wohin? – Die bewohnten Stätten Menschen, ein Hof nach dem andern, verschließen vor mir die Thür. Und die unbewohnten Stätten versagen mir die Nahrung. Raube ich, um meinen Hunger zu stillen, so nennt man mich einen Räuber. Die Bauern fallen in Scharen über mich her, und Tag und Nacht finde ich keine Ruhe.“

Gudmund sagte: „Du mußt deinen Aufenthalt an solch einem Orte wählen, wo du nicht immer zu fürchten brauchst, überfallen und erschlagen zu werden.“

„Solch einen Ort kenne ich nicht“, erwiderte Gretter. „Ich habe ganz Island durchstreift. Ich habe am Kjoel gelegen. Ich habe die Arnarvatnsheide bewohnt. Ich habe, wie ein Raubvogel, auf dem Fagraskogarfelsen genistet. Ich bin durch die Reykjaheide gestreift. Aber nirgends habe ich auf die Dauer mich halten können!“ –

„Und doch kenne ich einen Ort, der diesen Schutz dir voll bieten wird“, sagte Gudmund, der Reiche, „nicht einen Berg, nicht eine Heide, sondern eine Insel. Draußen im Skagafjord liegt eine Insel, die Drang-ey[1], (ey heißt zu deutsch Insel) nicht zu weit vom Festlande entfernt. Sie ist von keinem Menschen bewohnt. Ihre Ufer sind felsig, und steigen senkrecht aus dem Meere auf, so hoch, daß man nur auf Leitern sie ersteigen kann. Die Insel ist grasreich, und wird von Schafen beweidet. Die Ufer sind fischreich, und in den Felsenwänden nisten zahllose Vögel, deren Eier eine wohlschmeckende Speise sind. Gelänge es dir, dorthin zu entkommen, dann wüßte ich niemanden, der imstande wäre, dich von dort zu vertreiben, falls nur die Leitern, der einzige Zugang, sorgfältig gehütet werden!“ –

„Deinen Vorschlag werde ich prüfen,“ sagte Gretter. „Nur ein Bedenken habe ich. Ich bin jetzt so dunkelscheu geworden, daß ich lieber sterben möchte, als auf der einsamen Insel in den Nächten allein zu sein!“ –

„Dann nimm dir einen Gesellen,“ sagte Gudmund, „aber sei vorsichtig! – Es ist nicht leicht, Leute auszukennen. Traue niemand, außer dir selbst. Das ist das Beste!“ –

Gretter dankte für den guten Rat, und verließ Moedruveller. Ununterbrochen setzte er seinen Ritt fort, bis er nach dem Midfjordthale kam, und sein väterlicher Hof Bjarg zu seinen Füßen lag.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. isl. Drangey


Empfohlene Zitierweise:
Emil Dagobert Schoenfeld: Gretter der Starke. Schuster & Loeffler, Berlin 1896, Seite 197. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gretter_der_Starke.pdf/215&oldid=- (Version vom 1.8.2018)