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Als er vom Pferde gestiegen war, und seine Riesengestalt im Gerüste der Hausthür stand, ergriff die Dienstleute, welche durch all das Erlebte eingeschüchtert waren, mächtige Furcht, und sie wichen zurück.

Indessen die Hausfrau Steinvoer war mutiger. Sie trat vor, und fragte nach des Ankömmlings Namen und Begehr.

„Mein Name ist Gast,“ sagte Gretter, „und ich bitte hier um ein Nachtquartier.“

„Nachtquartier und Essen stehen dir zu Diensten, Gast,“ sagte Frau Steinvoer, „aber für deine Sicherheit hier in diesem Hause mußt du selber sorgen!“ –

„Ich weiß Bescheid,“ sagte Gast, „und habe keine Furcht. Ich will nicht bloß für meine Sicherheit hier sorgen, sondern auch für die deinige, Frau! Gehe ruhig in den Vespergottesdienst heute, wenn du magst. Ich werde in dieser Nacht hier Wache halten.“

„Das nenne ich mutig gesprochen,“ sagte Steinvoer, und reichte Gast die Hand.

„Wer nichts wagt, gewinnt auch keinen Ruhm!“ erwiderte Gretter.

Und beide traten zusammen in die Wohnstube.

„Nach dem Entsetzlichen, was zweimal hier gerade in der heiligen Nacht sich zugetragen hat, wollte ich eigentlich heut nicht fort von Hause, so gerne ich auch den Weihnachts-Vespergottesdienst besuche. Auch ist der Fluß geschwollen, und geht mit Treibeis. Das Hinüberkommen wird heute schwer sein!“ –

„Ich helfe dir hinüber,“ sagte Gast „und übernehme dann im Hause die Wache. Du magst ruhig gehen!“ –

So ging denn Steinvoer, und kleidete sich festlich an. Auch ihr Töchterchen, ein zartes Kind, nahm sie mit sich.

Es war draußen Tauwetter geworden. Der Fluß ging breit und tief. Das Eis war geborsten, und trieb in dicken Schollen den Fluß hinab. Dazu das Tosen des nahen Wasserfalls, der Sturm, der in den Zweigen der Tannen wühlte, und die Bäume ächzen machte; das alles gab ein beängstigendes Bild des Aufruhrs in der Natur.

„Es ist unmöglich, heut über den Fluß zu kommen,“ sagte Steinvoer, als sie an das Ufer getreten waren, und in die schäumenden Wasser blickten. Ihr kleines Mädchen drückte sich ängstlich an die Mutter.

„Nicht Mensch, noch Pferd, sag ich dir, kommen heut hinüber!“ –

Empfohlene Zitierweise:
Emil Dagobert Schoenfeld: Gretter der Starke. Schuster & Loeffler, Berlin 1896, Seite 183. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gretter_der_Starke.pdf/201&oldid=- (Version vom 1.8.2018)