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„Er hatte kein Recht in Gretters Haus zu wohnen, und dort in meinem Teich zu fischen,“ sagte Hallmund. –

Denn Hallmund war es, der hier zum Sterben sich hinstreckte.

„Wer, meinst du,“ fragte die Reifriesin, „wird deinen Tod rächen?“

„Ob das je geschehen wird, wer weiß es?“ sagte Hallmund. „Gretter ist wohl der Einzige, auf den ich rechnen kann. Er hat ein treues Herz und einen starken Arm. Doch dieser Grim, der mich schlug, wird Glück haben in dieser Welt, das sage ich dir!“ –

Dann ruhete der Verwundete ein wenig, und schloß die Augen. Die Tochter sank an seinem Bette nieder, und barg ihre Angesicht in beide Hände.

Er strich mit seiner Hand liebkosend über das herabfallende, volle Haar, und sagte weich: „Weine nicht, Kind! – Laß uns die letzten Augenblicke nützen! – Nimm deinen Runenstab, und grabe darauf ein, was ich dir singe!“ –

Nun begann Hallmund mit matter Stimme ein Lied.

Er sang, wie er dem Gretter einst die Zäume aus den Händen geruckt, daß sie schmerzten. Er sang, wie er, Rücken an Rücken mit Gretter, Thorers 80 Mann geworfen, daß 18 davon das Aufstehen vergaßen. Er sang, wie er mit Reifriesen und Halbreifriesen gekämpft, und sie bezwungen; wie die Erdgeister samt den Elfen und den Gnomen seine Macht gespürt! –

Das alles schnitt die Tochter, während der Riese singend sprach, mit einem Messer in den Stab von Buchenholz ein, den sie auf ihrem Schoße hielt, in Runen, nicht Buchstaben, sondern Merkzeichen, von denen jedes nicht einen Laut, sondern ein Wort, oft einen ganzen Satz bezeichnend, für das Gedächtnis festhielt. –

Dieses Lied bekam den Namen Hallmunds-Kvida, (Kvida heißt auf deutsch Gedicht) und lebt noch heute in der Isländer Gedächtnis. Mit dem letzten Worte erstarb auch Hallmunds Stimme. Er streckte seine Glieder, und war nicht mehr! –

Laut schluchzend warf sich die Tochter über die Leiche ihres Vaters! – Da trat Grim aus seinem Versteck hervor.

Sein Tritt weckte die knieende Frau aus ihrer Betäubung. Sie richtete sich auf und sah ihn fragend an. Das dunkle Haar hatte sich gelöst, und umfloß Haupt und Schultern, gleich wie ein Trauerschleier. In ihren Wimpern hingen Thränen. Die Hand hielt sie, wie abwehrend, gegen den Eintreten vorgestreckt.

Empfohlene Zitierweise:
Emil Dagobert Schoenfeld: Gretter der Starke. Schuster & Loeffler, Berlin 1896, Seite 175. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gretter_der_Starke.pdf/193&oldid=- (Version vom 1.8.2018)