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Bereits wochenlang hatte er aus den Taschen Beraubter gelebt, die ihm dafür innerlich fluchten.

Da geschah es eines Tages, als Gretter auf seinem Lugaus stand, daß ein berittener Mann, von Süden herauf, die Straße kam. Er war kräftig von Wuchs, ritt ein schönes Pferd, und hatte silberbeschlagenes Zaumzeug. Am Leitriemen führte er ein zweites, hochbepacktes Pferd. Begleitung fehlte.

Der Reisende hatte seinen breitkrämpigen Hut tief in die Augen gedrückt, sodaß man sein Gesicht nicht recht sehen konnte. Dem Gretter gefiel das Pferd unter dem Sattel ausnehmend, und das zur Seite gehende, hochbepackte Handpferd barg gewiß reiche Beute.

Gretter ging darum auf den Reiter zu, grüßte ihn, und fragte:

„Wie heißt du?“ –

„Ich heiße Lopt“ (das heißt Luft) – war die Antwort.

„Aber dich,“ sagte der Fremde, „brauche ich nicht nach deinem Namen zu fragen, du heißt Gretter, der Starke, Asmunds Sohn! – Wohin führt dich dein Weg, Gretter?“

„Das ist noch unbestimmt,“ erwiderte dieser. „Aber ich habe ein Anliegen an dich, Lopt! – Gieb mir einen Teil von deinem Gepäck her!“

„Ich wüßte keinen Grund,“ sagte Lopt, „mit dir meine Habe zu teilen! – Oder willst du mir etwas abkaufen?“ –

„Hast du nicht gehört,“ sagte Gretter, „daß ich niemals zu zahlen pflege; und doch finden es die Meisten ratsam, mir zu geben, was ich verlange!“ –

„Oho!“ sagte Lopt, „dergleichen Bedingungen magst du anbieten, wem sie gefallen, ich lasse meinen Besitz solcher Weise nicht fahren. Zieh deinen Weg, Gretter, ich werde den meinen ziehen! – Leb’ wohl!“ –

Lopt drückte seinem Pferde die Hacken in die Weichen, und dieses sprengte an.

„So schnell, Freund, trennen wir uns nicht!“ schrie Gretter, und griff dem Reiter in die Zügel, dicht unter den Händen des Lopt.

Dieser sah dem Angreifer scharf in’s Gesicht, und sprach: „Nichts, nichts bekommst du von mir, Freund!“ – –

„Das wollen wir doch sehen!“ drohte Gretter.

In diesem Augenblick riß Lopt die von Gretter gefaßten Zügel mit solcher Gewalt an sich, daß Gretter, wider seinen Willen, loslassen mußte.

Gretter stand da, und starrte auf seine leeren Hände, die von dem scharfen Ruck des Gegners schmerzten.

Empfohlene Zitierweise:
Emil Dagobert Schoenfeld: Gretter der Starke. Schuster & Loeffler, Berlin 1896, Seite 138. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gretter_der_Starke.pdf/156&oldid=- (Version vom 1.8.2018)