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Thorstein hatte eine sehr geschickte Hand für Holz- und Metallarbeit und übte diese Kunst fleißig. Auf seinem Hofe hatte er eine Kirche erbaut. Sie lag durch einen Fluß von den Gebäuden getrennt, und über jenen war er soeben im Begriff eine Brücke zu schlagen von sehr merkwürdiger Konstruktion; alles seine eigene Erfindung. Nämlich an den Enden der Tragbalken waren eiserne Bogen angebracht, und in diesen hingen Glocken, welche, wenn jemand über die Brücke ging, einen so starken Klang gaben, daß es eine halbe Stunde weit zu hören war.

Thorstein leitete die ganze Anlage, und arbeitete selbst eifrig mit. Ihm war Thätigkeit von je her ein Bedürfnis, so daß man ihn fast nie rasten sah. Dasselbe verlangte er auch von seiner Umgebung. Müssiggänger waren ihm äußerst zuwider. „Wozu hat uns Gott in die Welt gesetzt, wenn wir nicht arbeiten, und etwas vor uns bringen wollen?“ so sprach er.

Bei dem völligen Mangel eines Handwerkerstandes auf Island war man im weitesten Umfange angewiesen auf die Einfuhr von Kunst- und Gebrauchsgegenständen; besonders aber auch auf die Hausindustrie. Sie wurde sehr fleißig auf allen Höfen geübt, von Knechten wie auch von den Herren. An den langen Winterabenden beschäftgten sich die Frauen eifrig mit Spinnen, Weben, und Nadelarbeit; die Männer dagegen mit der Verarbeitung von Holz, Erz, und Eisen. In Sonderheit in der Kunst des Schmiedens, namentlich von Waffen, geübt zu sein, galt selbst für einen Edeling als Auszeichnung.

Gretter war auch geschickt. Namentlich seine Gewandtheit in Bearbeitung des Eisens war zu loben. Aber seine Arbeitslust war sehr ungleich. Er hatte von Jugend an nie gelernt, sich unter das eiserne Gebot der Pflicht zu stellen, sondern mehr unter die weichliche Hand der Laune. Ein störriger Knabe, wie er es gewesen war, hatte sein Vater bald die Geduld mit ihm verloren, und seine Mutter hatte ihn verwöhnt. So war er, sich selbst überlassen, aufgewachsen, und seiner aufschäumenden Kraft fehlte der zügelnde, ernstgeschulte Wille.

Gretter bezwang andere; aber er hatte es nicht gelernt, sich selbst zu bezwingen. Dieses wurde die Quelle seines stets neu werdenden Mißgeschicks.

Auch mit Thorstein verdarb er es. In die Hausordnung zwar fügte er sich höflich und friedlich. Und den ganzen Winter hindurch kam keinerlei Störung vor. Aber in die Zumutung Thorsteins, anhaltend

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Emil Dagobert Schoenfeld: Gretter der Starke. Schuster & Loeffler, Berlin 1896, Seite 136. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gretter_der_Starke.pdf/154&oldid=- (Version vom 1.8.2018)