Seite:Gretter der Starke.pdf/133

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Seine Mutter erwachte von dem schlürfenden Schritt, hörte das Tasten der Hand, richtete sich in ihrem Bette auf und fragte vernehmlich: „Wer ist da?“ –

Gretter trat herzu und nannte leise seinen Namen.

Asdis streckte ihre Arme nach ihm aus, zog ihn an sich, und küßte ihn zärtlich.

„Sei willkommen, lieber Sohn,“ sagte sie herzlich.

Dann schüttete sie dem heimgekehrten Kinde ihr volles Herz aus.

„Deinen Vater findest du nicht mehr,“ sagte sie. „Asmund Haerulang trug sein graues Haupt hinab zur Gruft. Und,“ setzte sie mit tiefem Seufzen hinzu: „An meinen Söhnen habe ich wahrlich nur kurze Freude. Atle, der mir vom größten Nutzen hier war, ist erschlagen. Und du bist, wie ein Verbrecher, geächtet. Illuge aber ist noch so jung, daß er nicht imstande ist, etwas zu leisten!“ – – – – – – – – –

„Atle ist hier auf seiner eigenen Hausschwelle getötet, und sein Tod ist noch nicht gerächt. Ein Weib hat, wie du weißt, auf Island kein Klagerecht. Auch würde Blutgeld den schweren Frevel nimmer auslöschen. Die Rache liegt nun in deinen Händen, Gretter! – Du mußt den Thorbjoern Oexnamegin züchtigen.“

„Tröste dich, Mutter,“ sagte Gretter, „Atle wird von mir gerächt werden, dazu bin ich hergekommen! Und wegen meiner Ächtung sorge dich nicht. Es ist noch nicht entschieden, wer in diesem Streite als der Stärkere sich zeigen wird, ich oder Thorer, mein Feind!“

Die Mutter stimmte befriedigt zu, und lehnte sich in die Kissen zurück. Gretter warf sich auf Atles Bett, das noch unberührt auf seinem alten Platze stand, und erleichtert atmete seine breite Brust auf, für kurze Zeit, in dem Frieden und in der Luft des Vaterhauses.

Die Frauen auf Island besaßen keine politischen Rechte. Im öffentlichen Leben traten sie völlig zurück. Um so größer war ihr Einfluß im Hause. Hier werden sie oft die Schöpfer der Gedanken und Pläne, denen die Männer auf dem Thing ihre Stimme, auf dem Kampfplatz ihre Waffen leihen.

Besonders zäh zeigte sich auch das Weib auf Island in Verfolgung der Blutrache.

Eine Witwe zeigt ihren heranwachsenden Söhnen von Zeit zu Zeit immer wieder die treu aufgehobenen, blutdurchtränkten Kleider ihres erschlagenen Mannes, und sagte ihnen: „Diese Kleider eures Vaters müssen

Empfohlene Zitierweise:
Emil Dagobert Schoenfeld: Gretter der Starke. Schuster & Loeffler, Berlin 1896, Seite 115. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gretter_der_Starke.pdf/133&oldid=- (Version vom 1.8.2018)