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Es erhellet aus der Vernunft und Erfahrung, daß man nicht nur Wein trinken könne, um den Durst zu löschen, sondern daß dieses auch geschehe, um sich zu erquicken. Man pflegt im Sprichworte zu sagen: Vinum est lac senum, das ist, Wein thut den Erwachsenen eben die Dienste, als Milch den Säuglingen. Wer sich nun am Weine erquicket, dessen Gemüthe wird munter; wer sein Gemüthe durch den Wein ermuntert, ohne dabei seiner Sorgen zu vergessen, der trinkt den Becher der Frölichkeit, und zwar den kleinern. Alle Moralisten, sowohl Theologi als Philosophi stimmen darinne überein, daß es erlaubt sey, diesen kleinern Becher, wenn und so oft man will, zu versuchen, denn er dienet zur Erhaltung des menschlichen Lebens und der Gesundheit; alleine wegen des größern sind die Gelehrten nicht einerlei Meinung. Einige, und zwar die strengsten Moralisten, verwerfen solche in ihren Schriften ganz; sie thun es aber nur zum Scheine, und machen sich kein Bedenken, ihn dann und wann selbsten auszuleeren. Die gelindern lassen solchen,

Empfohlene Zitierweise:
Johann Karl August Musäus: Grandison der Zweite, Oder Geschichte des Herrn v. N *** in Briefen entworfen. Band 1. Michael Gottlieb Griesbach, Eisenach 1760, Seite 305. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Grandison_der_Zweite_1.pdf/320&oldid=- (Version vom 1.8.2018)