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im Erzgebirge ein junger Bergmann, Namens Oswald Barthel, des alten Bergmanns Michael Barthel Sohn, der von seinen Vorgesetzten so geschätzt war, daß ihm der reiche Obersteiger Baumwald seine einzige Tochter Anna verlobte. Nun sollte er im tiefen Stolln, Gutes Glück, im Sauberge anfahren, um einen Durchschlag (Durchbruch in einen andern alten Stolln) zu machen, welches wegen des entgegenstehenden Wassers unter die gefährlichsten Arbeiten des Bergbaues gehört. Er und diejenigen seiner Kameraden, welche die Reihe hierzu traf, traten nun, nachdem sie zuvor mit ihrem Steiger an der Spitze gebeichtet und das h. Abendmahl genommen, am Tage St. Katharinä, im Jahre 1508 die Fahrt mit einem herzlichen Glückauf! an. Als sie an dem gefährlichen Punkte angekommen waren, ward die Arbeit sofort in rolliger, sehr gebrechlicher (d. h. weicher, nicht zusammenhängender, erdiger) Bergart betrieben und das Einstürzen der Firste durch Zimmerung verhütet. Die Last war groß, die auf dieser Zimmerung ruhte, und als der Steiger, etwas zurückstehend, eben eine Anordnung treffen wollte, hörte er ein heftiges Krachen in der Firsten-Zimmerung und im nächsten Augenblick ein Gleiches: Brüder, rettet Euch! rief er, schnell, es macht einen Bruch (die Zimmerung bricht)! Diesem Rufe folgten alle in der größten Eile, nur Oswald, der jüngste und rascheste von allen blieb auf eine bis jetzt unbegreiflich gebliebene Weise zurück und wurde so verschüttet. Zwar gab man sich die unsäglichste Mühe, den armen Oswald zu retten, und immer neue Arbeiter lösten die bereits ermatteten ab, aber vergebens, es brach immer mehr nach und der Unglückliche ward nicht wieder gefunden. Als nun aber die Braut des armen Bergmanns die furchtbare Kunde vernahm, sank sie zuerst in eine tiefe Ohnmacht, aus der sie nur wieder erwachte, um in eine tödtliche Krankheit zu verfallen. Zwar besiegte ihre Jugendkraft dieselbe und sie ward dem Leben erhalten, allein als sie nach ihrer Genesung zum ersten Male wieder das Gotteshaus betrat, da brachte sie am Altar der hochheiligen Mutter des Herrn das Gelübde

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Johann Georg Theodor Grässe: Der Sagenschatz des Königreichs Sachsen. Band 1. Schönfeld, Dresden 1874, Seite 455. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Graesse_Sagenschatz_Sachsens_I_455.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)