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im Winter ging ein armes Mädchen aus Schlettau in den am Fuße des Scheibenberges gelegenen Wald, um Holz zu holen. Da begegnete ihr ein kleines Männchen mit einer goldenen Krone auf dem Haupte, das war Oronomassan. Er grüßte das Mädchen und rief gar kläglich: „ach, Du liebe Maid, nimm mich mit in Deinen Tragkorb! Ich bin so müde, und es schneit und ist so kalt, und ich weiß mir keine Herberge! Drum nimm mich mit zu Dir in Dein Haus!“ Das Mädchen kannte den Zwergkönig zwar nicht, aber da er gar zu flehentlich bat, so setzte sie ihn in ihren Tragkorb und deckte ihre Schürze über ihn, damit es ihm nicht auf den Kopf schneien möchte. Darauf nahm sie den Korb auf den Rücken und trat den Rückweg an. Aber das Männchen in dem Korbe war centnerschwer und sie mußte alle Kräfte zusammennehmen, daß sie die Last nicht erdrückte. Als sie nach Hause gekommen, setzte sie den Tragkorb keuchend ab, und wollte nach dem Männchen darin sehen, und deckte ihre Schürze ab. Aber wer schildert ihr freudiges Staunen? das Männchen war fort und statt seiner lag in dem Tragkorbe ein großer Klumpen gediegenen Silbers.[1]


518) Die lange Schicht zu Ehrenfriedersdorf.
Textor, hist. Bildersaal Bd. V. S. 120 sq. u. b. Dietrich a. a. O. Bd. I. S. 167 sq. Poetisch beh. v. Ziehnert, Bd. I. S. 1 sq.[2]

Einst lebte in der uralten sächsischen Bergstadt Ehrenfriedersdorf


  1. Winter a. a. O. berichtet, jenes Mädchen sei die Tochter eines Schneiders aus Schlettau gewesen, das sogenannte schöne Schneiderminel, und habe um 1535 gelebt, sei auch nachher noch mehrmals bei dem Zwergkönig im Scheibenberge gewesen, und habe für ihn, seine Frau und Familie Kleider machen müssen und dafür solche Geschenke erhalten, daß sie zu großem Reichthum gekommen und nachdem sie sich verheirathet, eine der reichsten Familien in Schlettau begründet habe. Nach dem 30jährigen Kriege aber seien ihre Nachkommen wieder verarmt und zuletzt wieder so herabgekommen, wie zu der Zeit, wo sie den Zwergkönig zuerst gesehen hatte.
  2. Ist der schwedischen Sage von dem Brautpaare von Falun (b. Lyser, Abendl. 1001 Nacht, Bd. XIV. S. 86 sq.) sehr ähnlich.
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Johann Georg Theodor Grässe: Der Sagenschatz des Königreichs Sachsen. Band 1. Schönfeld, Dresden 1874, Seite 454. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Graesse_Sagenschatz_Sachsens_I_454.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)