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Jungfrau ward niemals wieder gesehen, und einige Wanderer wollten sie mit dem schneeweißen Reh auf dem Wege nach dem Kloster Paulinzell erblickt haben. Nach drei Tagen kam aber das Reh wieder freudig und wohlgemuth in das Thor von St. Thomas und sein Rücken war mit einem Kranze von Epheu umwunden. Jener Becher ist aber lange noch vorhanden gewesen; er war in der Hütte des Eremiten im Thale St. Johannis bei Leipzig an dessen kleinem Betaltare aufgestellt.


409) Die Karthaunenkugel auf dem Gottesacker zu Leipzig.
Ziehnert, Bd. III. S. 350 sq. Schäfer, Wahrzeichen Bd. I. S. 29.

Am 3. August des Jahres 1540 war ein furchtbares Gewitter über Leipzig gezogen, und der Leipziger Böttchermeister Anton Veid freute sich eben noch über den erquickenden Regen, der jetzt die Gewitterschwüle verscheuchte. Während dem hatte seine einzige Tochter Dorchen aus Furcht vor den schweren Schlägen den Spruch gebetet: liebet Eure Feinde, segnet, die Euch fluchen. Dadurch ward ihr Vater daran erinnert, daß im Nachbarhause ein Mann, dessen Streit- und Zanksucht ihm das Leben oft schwer gemacht, in tiefer Armuth krank darniederliege. Er ging also hinüber und fand den Unglücklichen, wie er eben seinen einzigen Sohn, der trotz des drückendsten Mangels und der Härte des Vaters treu bei ihm ausgehalten, segnete, und bald darauf verschied. Der wohlhabende Veid ließ ihn anständig begraben und nahm den Sohn in sein Haus. Hier ward er mit der Meisterstochter wie Geschwister erzogen, erlernte das Böttcherhandwerk und verliebte sich nach und nach immer mehr in das zu großer Schönheit emporblühende Mädchen. Der Vater bemerkte es wohl, war auch ganz einverstanden mit der Liebe der beiden jungen Leute, und um seinem künftigen Schwiegersohn die Arbeit zu erleichtern, nahm er noch einen Gesellen an, der lange bei den Kaiserlichen im Felde gestanden und dort ganz verwildert war. Da rückte der Churfürst Johann

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Johann Georg Theodor Grässe: Der Sagenschatz des Königreichs Sachsen. Band 1. Schönfeld, Dresden 1874, Seite 356. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Graesse_Sagenschatz_Sachsens_I_356.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)