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Blüthe stand, da haben eine Anzahl Raubritter mehrere gemeinschaftliche Burgen im sächsischen Hochlande gehabt; zu Frauenstein hatten sie ihre Frauen, zu Rechenberg hielten sie ihre Abrechnung und theilten ihren Raub, zu Purschenstein lagen ihre Reisige und Burschen in Quartier und zu Pfaffrode unterhielten sie ihre Pfaffen. Wenn aber auf dem alten Stadtsiegel eine Frau, an einem Felsen stehend und in der Hand einen Zweig mit drei Aesten und Blüthen haltend, dargestellt ist, so bedeutet dies, daß früher das Städtchen unter dem felsigen Schloßberge stand und von der Königin Libussa (bekanntlich schlug der dürre Stab ihres Mannes aus, s. oben S. 75) gegründet worden ist. Auf den neuern Siegeln sitzt diese Frau entweder mit entblößtem rechten Beine zwischen zwei Felsen, was sagen will, daß Frauenstein zwischen dem Schloß- und Sandberg erbaut ist, oder sie springt zwischen den Bergen hervor, indem das rechte Bein noch in denselben steckt, was bedeutet, daß die Stadt ihre Einnahmen aus dem damals noch florirenden Bergbau gezogen habe.


228) Ein Geist zeigt eine Mordthat an.
Curiosa Sax. 1762. S. 242. sq.

Im J. 1760 ist ein Knabe aus Bräunsdorf nach Neumark bei Freiberg zu einem Schuhmacher in die Lehre gethan worden. Dieser Lehrjunge wird von dem Sohne des gedachten Schusters, der seinem Vater im Handwerke hilft, mit einem Schuhleisten todtgeschlagen. Sie schaffen denselben in aller Stille bei Seite, und geben vor, er sei davongelaufen, was auch geglaubt wird, aber des Knaben Großmutter, die ebenfalls zu Bräunsdorf wohnte und den Knaben in seiner Lehrzeit öfter als seine Eltern besucht und ihm auch oft etwas mitgebracht hatte, erblickt nach einigen Tagen mehrere Nächte hintereinander den Geist ihres erschlagenen Enkels, der ihr erzählt, er sei nicht davongelaufen, sondern vielmehr mit einem Schuhleisten erschlagen und in der Scheune begraben worden.

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Johann Georg Theodor Grässe: Der Sagenschatz des Königreichs Sachsen. Band 1. Schönfeld, Dresden 1874, Seite 204. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Graesse_Sagenschatz_Sachsens_I_204.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)