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Ernste, sie solle Solches ausrichten, sonst werde er über ihren Ungehorsam zornig werden, und hiermit verschwindet er und das Gesicht in der Grube. Die erschrockene Frau hat vor Schwachheit kaum in’s nächste Dorf laufen können, wo sie zwei Tage in einem Bauernhause geblieben ist, ehe sie sich erhohlen konnte. Kurz darauf hat der Pastor zu Lockwitz, M. Gerber, erfahren, daß sie am bevorstehenden Bußtage in der Lockwitzer Kirche auftreten und zu den Leuten sprechen wolle, hat sie also zu sich berufen und sie ihn Alles, wie oben steht, aufschreiben lassen und gesagt, so er dies an das Oberconsistorium berichten wolle, da wolle sie dies nicht thun. Gleichwohl ist sie am 20. März 1723, eben als M. Hahn auf die Kanzel getreten, in Dresden in der Kreuzkirche bei dem Lesepulte aufgetreten und hat angefangen zu sprechen, ist auch nur mit Mühe entfernt worden und hat bei ihrem Verhöre ebenso, wie oben steht, ausgesagt, auch als sie nach Lockwitz zurückgebracht ward, M. Gerbern erzählt, wie der Geist ihr keine Ruhe gelassen, sondern sie stets angetrieben habe, das Erwähnte in Dresden zu verkündigen; sie habe aber doch nicht nach Dresden, sondern in die Lausitz gehen wollen, als sie jedoch zu Schönfeld übernachtet, sei ihr ein Glanz erschienen und eine Stimme habe ihr befohlen, umzukehren und zu Dresden zu verkündigen, was er ihr damals auf dem Berge verkündiget; so sie auch gethan habe. Obgleich sie nun in Lockwitz wieder um Lohn arbeitete, hat sie doch keine Ruhe gehabt, sondern ist in die benachbarten Orte gegangen und hat über die Perrücken der Prediger geeifert, auch in Dohna dieselben ihnen öffentlich in der Kirche vom Kopfe nehmen wollen, worauf sie arretirt und erst nach Pirna, dann nach Waldheim geschafft ward, wo sie starb. Später hat sich ergeben, daß sie schon als Magd in Wittenberg im Jahr 1710 solche Erscheinungen gehabt und Befehl bekommen hat, öffentlich in der Kirche gegen die Hofffahrt der Professoren, die Gottlosigkeit der Geistlichen und Liederlichkeit der Studenten zu eifern, woran sie jedoch verhindert worden.

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Johann Georg Theodor Grässe: Der Sagenschatz des Königreichs Sachsen. Band 1. Schönfeld, Dresden 1874, Seite 191. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Graesse_Sagenschatz_Sachsens_I_191.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)