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Weiber sowohl als die Jungfrauen insgemein den ganzen Kopf bis an die Augen mit einer weißen Leinwand also zu verhüllen, daß ein Stück über den Rücken hinab hängt und man von dem Gesichte nur wenig sehen kann. Wenn aber die Jungfrauen in ihrem größten Schmuck gehen, so haben sie ein Krägelchen von gestärkter weißer Leinwand um, welches mit Draht in die Runde gebogen und als ein halber Mond um den Nacken steif bis an die Achseln steht, aber nicht auf ihnen aufliegt. In früherer Zeit trugen sie große weite Aermel von Schleier- oder weißer Leinwand, sodaß ein ganzes Siebmaaß Korn in einen ging. Heut zu Tag (d. h. 1703) sind sie etwas kleiner und müssen sehr blau gestärkt werden, weil sie dies für eine Zierde halten, an solchen hängt auf dem Rücken ein viereckiger Latz von weißer Leinwand mit schwarzer Seide durchnäht. Bei Ehrentagen tragen die Frauenzimmer rothe Jacken mit Falten, eben wie die Mannspersonen, insgemein aber ein schwarzes Tuch-Wamms oder ein sogenanntes ledernes Mieder. Vor der Brust pflegen sie gewöhnlich einen Latz von Sammt oder seidenem Zeuge zu haben. Um die Lenden tragen sie einen schwarzen ledernen Gürtel, so fast eine Spanne breit nebst einer weißen oben schmal eingefalteten Schürze. Ihr größter Putz besteht aber in einem Pelz, so viele Falten hat und in einem gefalteten Kittel. An Ehrentagen tragen die Jungfrauen knappe Stiefeln, die Frauen aber schwarze Tuchstrümpfe und Schuhe. Was die Sprache anlangt, so sprechen sie nicht mehr wendisch, sondern deutsch, aber einen ganz besonderen Dialect. Sie verändern erstlich bisweilen ganze Buchstaben z. B. in dem Worte „Maria“ machen sie aus dem Vocal i ein j, und aus dem Vocale a ein e und sprechen „Marje“. Zweitens verstümmeln sie die Worte und versetzen die Buchstaben, z. B. den Namen Elisabeth pflegen sie nicht in „Lise“ zu verderben, sondern auch den Vocal i vor das l zu setzen und sagen „Ilse“. Bisweilen versetzen sie nicht blos Buchstaben, sondern werfen sowohl vorn als hinten solche weg, z. B. in dem Worte „Dorothea“ pflegen sie erstlich die Buchstaben D und o

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Johann Georg Theodor Grässe: Der Sagenschatz des Königreichs Sachsen. Band 2. Schönfeld, Dresden 1874, Seite 419. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Graesse_Sagenschatz_Sachsens_II_419.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)