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der langgedehnte, vom wendischen Dialecte stark gefärbte Ruf: „Eier!“ Die von Eltern, Geschwistern, Anverwandten und wohl auch Dienstboten begleiteten Kinder der Bewohnerschaft Bautzens und Schaaren von Jünglingen und Jungfrauen schauen, in dichten Reihen die Stirn des Protschenberges einnehmend, heiteren Blickes hinab auf die rufende Menge. Es gilt nun, hart gesottene, mit Farben bunt bemalte Eier, oder auch Obst, Backwerk aller Art und nach Befinden auch Kupfermünzen, möglichst weit hinab in die schreienden Schaaren zu werfen. Je nachdem bald aus der Mitte, oder aus einem der beiden Flügel der Städter die Gaben geworfen werden, je nachdem bewegen sich die Schaaren der auffangenden Kinder nach dieser oder jener Richtung. Personen, die im Werfen geübt sind, vermögen Eier bis in den Fluß zu werfen. Ist dies geschehen, so waten abgehärtete Buben baarfuß in das kalte Wasser und ringen unter dem Beifallsrufe der Menge um das farbige Osterei. Gegen drei Uhr lichten sich die Reihen und in den späteren Nachmittagsstunden verlassen die letzten Kinder mit ihren errungenen Schätzen den Festplatz.

Ueber die Bedeutung und Veranlassung dieses seltsamen Festes herrschen verschiedene Meinungen, aber eine sichere Kunde darüber giebt es nicht. Im Allgemeinen hält man dieses Fest für eine Erinnerungsfeier an jene Zeit, in welcher es dem Christenthume gelang, die heidnischen Götzen von der Höhe des Felsens in die Fluthen des Spreeflusses zu werfen[1]. Daß der Protschenberg früher ein heiliger, sogar befestigter Ort[2] der heidnischen Bevölkerung der Gegend gewesen ist, haben verschiedene Nachgrabungen und die dabei gemachten Funde mit ziemlicher Gewißheit ergeben, allein von einem Eierfeste zum Andenken an den Sieg des Kreuzes



  1. Dies ist irrig und es ist im Gegentheil ein aus dem Heidenthum entlehnter Gebrauch, der die Sage vom Weltei versinnlichen soll. S. Hasche, Mag. Bd. III. S. 297. 471. Hanusch, Slav. Mythol, S. 197. Nork, Myth. Wtbch. Bd. I. S. 505 fg. Friedreich, Symbolik d. Natur. S. 687 fg.
  2. S. Haupt, Laus. Sag. Bd. II. Nr. 95.
Empfohlene Zitierweise:
Johann Georg Theodor Grässe: Der Sagenschatz des Königreichs Sachsen. Band 2. Schönfeld, Dresden 1874, Seite 282. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Graesse_Sagenschatz_Sachsens_II_282.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)