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jedes Mal schöpfte er mit einem mäßig großen Becher von schön polirtem Rosenholz, dessen Entstehung Niemand kannte, eine Hand voll Malzkörner von jedem Haufen, die er langsam über die Gänge wandelnd bedächtig verzehrte. Schmeckte ihm das Malz nicht, so mußte es noch länger liegen oder mit solchem, das er vortrefflich fand, so lange gemischt werden, bis es ihm mundete, und erst wenn alles Malz seinem Geschmacke genügte, durfte es in die Pfanne geschüttet und zum Brauen verwendet werden. Wie mit dem Malze verfuhr er auch mit dem gebrauten Biere selbst, erst wenn es ihm zusagte, gestattete er die Auffüllung desselben. So geschah es, daß das Klosterbier bald das beste in der Stadt ward und Jedermann dasselbe haben wollte, die Stadtbrauereien aber bald keine Abnehmer mehr fanden. Zwar suchten die Besitzer desselben durch besseres Malz und stärkern Hopfen ihr Bier wieder in Aufnahme zu bringen, allein es gelang ihnen nicht, und so meinten sie denn, die Mönche müßten durch geheime Künste ihrem Biere den guten Geschmack zu geben verstehen. Nun hatte aber die Tochter des Klosterbrauers einmal ihrem Geliebten, einem Brauerssohn aus der Stadt, vertraut, daß der Pater Laurentius oft in stiller Mitternacht die Malzböden durchwandele und dann zum Kühlstock hinabsteige, den Segen über das brodelnde Getränk spreche und dann verschiedene Male von seinem Inhalte koste. Der Brauer brachte sie also dahin, daß sie ihn und einige seiner Kameraden im Klosterbrauhaus versteckte, und als der Mönch richtig wieder seine Runde machte, fielen sie über ihn her, banden ihn und schleppten ihn von dannen. Von dieser Gewaltthat ward der Abt durch ein eigenhändiges Schreiben des Bürgermeisters in Kenntniß gesetzt und von demselben verlangt, er möge dem Bruder Laurentius den Befehl ertheilen, seinen so wirksamen Zaubersegen auch dem Kühlbier der übrigen Brauer zu ertheilen. Demselben blieb nichts Anderes übrig, als zu dem bösen Spiel gute Miene zu machen und der arme Laurentius wurde nun von Brauhaus zu Brauhaus geschleppt, bis er aller Orten einem oder dem

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Johann Georg Theodor Grässe: Der Sagenschatz des Königreichs Sachsen. Band 2. Schönfeld, Dresden 1874, Seite 222. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Graesse_Sagenschatz_Sachsens_II_222.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)