Seite:Graesse Sagenschatz Sachsens II 195.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

So entfremdete er täglich mehr seinem Hause, er trieb sich in der Umgegend herum, und wenn er ja einmal zurückkehrte, hatte er kein Wort der Liebe für die arme Dulderin. So war er auch einst bei einem Freunde gewesen, der das Glück genoß, Vater eines muntern, blühenden Knabens zu sein. Neidisch blickte der Unglückliche auf seinen Freund, doppelt fühlte er sein Unglück und entbrannte vor Wuth gegen sein unfruchtbares Weib, der er allein sein trauriges Loos beimaß. Voll banger Sehnsucht hatte letztere auf seine Rückkehr gelauert, sie eilte ihm mit offenen Armen entgegen, er aber stieß sie mit starker Hand von sich, sie brach rücklings zusammen, verwundete tödtlich ihr Haupt am eisernen Thorflügel und nach wenigen Stunden war sie nicht mehr. Eine lange Reihe von Jahren schwand dahin, allein der Stachel des bösen Gewissens blieb tief in des Mörders Brust, weder Seelenmessen, noch Schenkungen an Kirchen und Klöster, noch der Bau eines kostbaren Grabmals für die unglückliche Dahingeschiedene waren im Stande dem Mörder Ruhe zu verschaffen, endlich vermochte er die Qual nicht mehr zu ertragen, er nahm Gift und bald ruhte er an der Seite der unschuldigen Dulderin, seine Güter aber fielen an entfernte Seitenverwandte. Allein auch jetzt fand er noch keine Ruhe, zur Abendzeit sah man murmelnd einen Geist am Schlosse und am Gitterthore umherirren, der erst um die Mitternachtsstunde unter dumpfem Gewimmer in der Todtengruft verschwand. Einem frommen Priester in der Gegend, der schon manchen Zauber gelöst hatte, gelang es, den Unglücklichen in das obenerwähnte Gebüsch zu bannen,[1] um welches er in der Tracht


  1. Das Bannen eines Entseelten an einen gewissen Ort ist noch jetzt in der Lausitz sehr gewöhnlich, und geschieht meistens durch den Scharfrichter. Bei Zittau sollen der Pfeffergraben und der Schülerbusch dergleichen Orte sein, wo solche gebannte Seelen ihr Wesen treiben. S. Willkomm, Sagen und Mährchen a. d. Oberlausitz. Bd. I. S. 21. sq. – Man kann aber auch Lebende bannen, so erzählte mir mein seliger Schwiegervater, Hr. Einnehmer Rost zu Grimma, er habe als Knabe zu Jüterbogk selbst einen Dieb auf einem hohen Aepfelbaum noch am hellen Tage [196] sitzen sehen, auf welchem denselben ein solcher Hexenmeister durch seinen Hocuspocus, nachdem man sich lange vergeblich bemüht, ihn zu fangen, eines Nachts fest gemacht hatte, so daß er erst, nachdem jener den Zauber wieder aufgehoben, den Baum wieder verlassen konnte. Thiere, besonders Hunde, an sich bannen, können viele Jäger, ich auch.
Empfohlene Zitierweise:
Johann Georg Theodor Grässe: Der Sagenschatz des Königreichs Sachsen. Band 2. Schönfeld, Dresden 1874, Seite 195. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Graesse_Sagenschatz_Sachsens_II_195.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)