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sind, eine Masse von Fragen vorzulegen; können sie dieselben beantworten, so ist es gut, wo nicht, so thut ihnen dasselbe ein Leid an. Einst lag um die Mittagszeit ein junges Bauermädchen hier im Grase und schlief, ihr Bräutigam saß bei ihr, allein sein Herz war anderwärts und sann, wie er sich ihrer entledigen könne. Da kam das Mittagsgespenst einhergeschritten und fing an dem Burschen Fragen vorzulegen, und soviel er auch antwortete, immer warf es neue Fragen auf, und als die Glocke Eins schlug, da stand sein Herz still, das Gespenst hatte ihn zu Tode gefragt. Als aber das Mädchen die Augen aufschlug, da lag ihr Bräutigam blaß und todt neben ihr, sie weinte und klagte manchen Tag, bis man sie neben dem Jüngling, der ihre Liebe nicht verdiente, zur ewigen Ruhe einsenkte.


791) Die Wunderblume auf dem Löbauer Berge.

Auf demjenigen Theile des bekannten Löbauer Berges, der wegen der darauf wachsenden Kräuter der Kräutergarten genannt wird, erblüht in der Nacht des Tages Johannis Enthauptung mit dem Glockenschlage 11 Uhr eine Blume, welche kein Naturforscher je gesehen oder bestimmt zu haben sich rühmen kann. Ihre Farbe ist purpur mit goldener Einfassung, grün mit Silberrändchen ihre Lotusähnlichen Blätter, veilchenblau ihr Stengel und glänzend himmelblau der Stempel. Sie hat, wiewohl großartiger, der Lilie Gestalt, und weit und breit duften – wenn sie ihren Kelch erschließt – ihre Wohlgerüche, denen die lieblichsten Blumendüfte weder in der alten noch neuen Welt gleichen. Keines Sterblichen Auge hat je ihre Wurzel erblickt. Im Jahre 1590, als der Löbauer Rathsförster Kajetan Schreier auf gedachtem Berge einen Rehbock blattete, empfanden seine Geruchswerkzeuge jenes wunderliebliche Duften, dessen Ursache er sich nicht zu erklären vermochte, und da der Duft, den der Wind ihm zuwehte, immer stärker wurde, ging er, den Rehbock vergessend, einige Schritte

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Johann Georg Theodor Grässe: Der Sagenschatz des Königreichs Sachsen. Band 2. Schönfeld, Dresden 1874, Seite 188. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Graesse_Sagenschatz_Sachsens_II_188.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)