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Besitzer des Rittergutes Schmochtitz bei Bautzen und kursächsischen Hausmarschall Peter August von Schönberg, geboren und verlebte einen Theil ihrer Jugend auf jenem herrlichen Landsitze. Am 13. Mai 1796 verheirathete sie sich mit dem Grafen Rochus August von Lynar, vertrug sich aber nicht mit ihm und als derselbe am 1. August 1800 plötzlich nach dem Genuß eines von ihr ihm gereichten Kirschkuchens zu Lichtenwalde gestorben war, so hatte das Volk sie damals schon als Giftmischerin in Verdacht. Auch ihren zweiten Mann sollte sie haben vergiften wollen, allein man erzählte sich damals, er sei geflohen und nie wieder mit ihr zusammengekommen, sondern habe aus der Ferne seine Scheidung eingeleitet und durchgesetzt. Daß keine dieser Beschuldigungen irgendwie bewiesen ward, versteht sich von selbst. Von dieser Frau, welche übrigens zu den klügsten und gebildetsten Frauen, die je existirt haben, gehörte, laufen nun noch heute im Munde der Dresdner und Plauenschen Bevölkerung sonderbare Sagen herum.

Sie lebte nach ihrer Scheidung ganz von ihrer Familie getrennt und stand mit Napoleon I., so oft derselbe nach Dresden kam, in einem sehr intimen Verhältniß, ja als derselbe zum letzten Male in Dresden war, wohnte sie längere Zeit bei ihm im Palais Marcolini auf der Friedrichstraße in Friedrichstadt. Die Frucht dieses Zusammenlebens sollte nun ein Knabe gewesen sein, der angeblich im Geheim von ihr im J. 1814 geboren ward, als erwachsener Mensch mehr als einmal sich zu ihr in Plauen Eingang verschaffte und von ihr, gestützt auf angebliche Briefe und Zeugnisse Unterstützung und Anerkennung verlangte – er führte nämlich den Namen Julius Wilhelm Wolf Graf – aber stets aufs härteste von ihr zurückgewiesen ward, und als er auch in ihrem Testamente nicht bedacht war, wie er erwartet hatte, sich am 14. April 1866 das Leben nahm. Wie dem auch sein mag, sie war bis an ihren Tod eine glühende Verehrerin des Kaisers Napoleon, zu dessen Befreiung aus der Gefangenschaft auf St. Helena sie kurze Zeit vor dessen Tode nach Paris gereist sein

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Johann Georg Theodor Grässe: Der Sagenschatz des Königreichs Sachsen. Band 2. Schönfeld, Dresden 1874, Seite 165. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Graesse_Sagenschatz_Sachsens_II_165.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)