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als ihr Wahrzeichen betrachtet ward. Man sah zuerst zwei große messingene Löwen, welche mit der einen Vordertatze auf beiden Seiten in der Mitte eine Glocke hielten und damit die Viertelstunden, eine um die andere, schlugen. Neben denselben erblickte man zwei wilde Leute von sehr großer Statur: der Mann hielt seinen langen Bart, das Weib aber hatte einen Stab in der Hand. Wenn nun die Stunde schlagen sollte, da zog sich der Mann so oft an dem Barte und sperrte so oft das Maul auf, als es schlagen mußte. Desgleichen zog auch das Weib zugleich so oft mit ihrem Stabe. Unter diesen erblickte man eine Kugel, welche des Mondes Lauf genau anzeigte, wie solcher am Himmel steht, ob er voll, halb oder nur ein Viertel scheint oder auch gar nicht.


648) Die Stiftung des Klosters Mildenfurth bei Weida oder Heinrichs des Reichen von Plauen Traum.
Limmer, Entw. e. urkundl. Gesch. d. Voigtlandes. Gera, 1825. B. I. S. 270.

Heinrich der Reiche, Voigt von Plauen, hatte in seiner Jugend seinen Bruder Bernhard beim Spielen mit einem Thorflügel geschlagen, so daß dieser von der erlittenen Quetschung zum Krüppel geworden starb. Ersterer konnte sich nun über diese Begebenheit nie ganz beruhigen, und als er im Jahre 1190 mit Kaiser Heinrich von der Belagerung Braunschweigs zurückkehrte und sich zu Magdeburg verweilte und seine Herberge bei den dasigen Regelherrn nahm, träumte es ihm in der Nacht des Marientages, er werde wegen dieses Mordes öffentlich vor dem kaiserlichen Gerichte angeklagt und zum Tode verurtheilt. In der Angst schrie er wirklich so laut zur Mutter Gottes um Hilfe, daß ihn Niemand ermuntern konnte, und so träumte er denn weiter, wie die heilige Jungfrau in Begleitung einer weißen Schaar von Heiligen und Prämonstratenser Mönchen aus der St. Marienkirche kommend sich zum Thron des Kaisers nahete und ihm

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Johann Georg Theodor Grässe: Der Sagenschatz des Königreichs Sachsen. Band 2. Schönfeld, Dresden 1874, Seite 49. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Graesse_Sagenschatz_Sachsens_II_049.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)