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wie es Sitte war, zu begrüßen, ein gefülltes Glas. Der Bräutigam trank und überreichte es dann seiner Braut. Diese leerte es vollends und warf es dann rücklings über sich auf das Pflaster des Hofes. Alle standen dabei gespannt im Kreise. Das Glas fiel, aber zerbrach nicht. Ein Freund der Braut zertrat es nun mit dem Fuße.[1] Nun erst bewillkommnete die Mutter ihre Schwiegertochter, aber etwas kalt, denn für sie, sowie für alle ihre Gäste, war das nicht zerbrochene Glas eine üble Vorbedeutung. So war es auch, denn nach wenigen Jahren war die junge Frau schon todt, mit der Wirthschaft ging’s auch nicht, das Haus ward verkauft und der Mann ist fortgegangen, Niemand wußte wohin.


639) Der gespenstige Leichenzug am Sylvesterabend zu Schöneck.
S. Döhler im Illustr. Familienjournal. Bd. V. Nr. 116.

An einem Sylvesterabend des vorigen Jahrhunderts saß ein alter Schneider zu Schöneck, der gleichzeitig Stadtrath und Gemeindeältester daselbst war, noch spät auf und schneiderte für den kommenden Festtag. Seine betagte Ehehälfte leistete ihm Gesellschaft und half ihm bei der Arbeit. Siehe da suchten beide vergeblich nach dem Kameelgarn zu den Knopflöchern. Es war alle geworden und gleichwohl ward es nöthig gebraucht, der in Arbeit befindliche Rock mußte fertig gemacht werden. Es blieb also nichts übrig, als daß der Alte auf den Boden hinauf wußte, um aus der daselbst in einer Kammer befindlichen Niederlage neuen Vorrath herbeizuholen. Es war eine wunderschöne klare


  1. Bei den Lausitzer Wenden werden während des Hochzeitsmahles die Gläser auf den Boden geworfen und müssen zerbrechen. Bei den Juden muß das unter der Trauung von dem Brautpaare geleerte Glas Wein zertreten werden. Ebenso ist es ein schlimmes Anzeichen, wenn das Glas, welches bei dem Heben eines Hauses von dem Polier nach seiner Rede herabgeworfen wird, nicht zerbricht. (S. Nork, Sitten der Deutschen, S. 202.)
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Johann Georg Theodor Grässe: Der Sagenschatz des Königreichs Sachsen. Band 2. Schönfeld, Dresden 1874, Seite 43. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Graesse_Sagenschatz_Sachsens_II_043.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)