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610) Die Eselswiese bei Zwickau.
Poetisch behandelt v. Ziehnert Bd. I. S. 69 sq.

Südlich von Zwickau liegt eine Wiese, die man Eselswiese nennt, nach der nüchternen Erklärung unserer Zeit darum, weil sie den Mühleseln der Rathsmühle das Futter lieferte. Die Volkssage weiß aber einen andern Grund des Namens anzugeben, und zwar folgenden.

Jene Wiese soll einst von einem Zauberer bezaubert worden sein, der auf ihr einen gefährlichen Fall gethan, so daß, so schönes Gras und Klee darauf wuchs, sie doch von ihrem Besitzer durchaus nicht benutzt werden konnte, weil die Milch des Viehes, das von demselben fraß, so blau wie Indigo ward. Nun hatte aber nicht weit von derselben ein armer Holzmacher seine ärmliche Hütte gebaut, der, weil er drei Esel besaß, der Eselsgürge genannt ward und allgemein wegen seiner Gutherzigkeit beliebt und gern gesehen war. Der zog sich die Grasnutzung dieser Wiese zu Nutze und seine Esel wurden dick und fett davon. Einst bei einem heftigen Gewitter pochte es des Nachts an seine Hütte, und als er die Thüre öffnete, da trat eine wunderschöne Jungfrau, die trotz des Unwetters ganz trocken war, weiß verschleiert herein, rosenfarbene Sandalen an den Füßen und einen goldenen mit Diamanten gezierten Kranz auf dem Haupte. Sie setzte sich an seinen Tisch, als er ihr aber Essen und Trinken, sowie sein armseliges Binsenlager zum Schlafen anbot, wieß sie Beides zurück und sagte, sie bedürfe dieser irdischen Erholung niemals, und auf sein Befragen, wohin sie wolle, entgegnete sie: „Nach oben, wo ich herkomme“. Der arme Gürge legte sich hierauf verwundert wieder nieder, als aber der Morgen anbrach, weckte sie ihn auf, um Abschied zu nehmen, und als er sie ein Stück Weges begleitete, fragte er sie, ob sie nicht zufällig die h. Jungfrau selbst sei, sie gleiche gar zu sehr dem Bilde derselben, wie er es in den Kirchen so oft gesehen. Darauf antwortete sie: „Ja, ich bin

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Johann Georg Theodor Grässe: Der Sagenschatz des Königreichs Sachsen. Band 2. Schönfeld, Dresden 1874, Seite 9. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Graesse_Sagenschatz_Sachsens_II_009.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)