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Kerry bestreitet das, was er meine Definition von Begriff nennt. Da möchte ich nun zunächst bemerken, dass meine Erklärung nicht als eigentliche Definition gemeint ist. Man kann auch nicht verlangen, dass Alles definirt werde, wie man auch vom Chemiker nicht verlangen kann, dass er alle Stoffe zerlege. Was einfach ist, kann nicht zerlegt werden, und was logisch einfach ist, kann nicht eigentlich definirt werden. Das Logischeinfache ist nun ebensowenig wie die meisten chemischen Elemente von vornherein gegeben, sondern wird erst durch wissenschaftliche Arbeit gewonnen. Wenn nun etwas gefunden ist, was einfach ist oder wenigstens bis auf Weiteres als einfach gelten muss, so wird eine Benennung dafür zu prägen sein, da die Sprache einen genau entsprechenden Ausdruck ursprünglich nicht haben wird. Eine Definition zur Einführung eines Namens für Logischeinfaches ist nicht möglich. Es bleibt dann nichts Anderes übrig, als den Leser oder Hörer durch Winke dazu anzuleiten, unter dem Worte das Gemeinte zu verstehen.

Kerry möchte den Unterschied zwischen Begriff und Gegenstand nicht als absoluten gelten lassen. Er sagt: „Wir haben an früherer Stelle selbst der Ansicht Ausdruck gegeben, dass das Verhältniss zwischen Begriffsinhalt und Begriffsgegenstand in gewisser Beziehung ein eigenthümliches, irreducibles sei; hiermit war aber keineswegs die Ansicht verbunden, dass die Eigenschaften: Begriff zu sein und Gegenstand zu sein einander ausschlössen; die letztere Ansicht folgt aus der erstern so wenig, als etwa daraus, dass das Verhältniss zwischen Vater und Sohn ein nicht weiter zurückführbares wäre, folgt, dass Jemand nicht zugleich Vater und Sohn (wiewohl natürlich nicht z. B. Vater Dessen, dessen Sohn er ist) sein könne.“

Knüpfen wir an dies Gleichniss an! Wenn es Wesen gäbe oder gegeben hätte, welche zwar Väter wären, aber nicht Söhne sein könnten, so würden solche Wesen offenbar ganz andrer Art sein als alle Menschen, welche Söhne sind. Aehnliches kommt nun hier vor. Der Begriff – wie ich das Wort verstehe – ist prädicativ[1]. Ein Gegenstandsname hingegen, ein Eigenname ist durchaus unfähig, als grammatisches Prädicat gebraucht zu werden. Dies bedarf freilich einer Erläuterung, um nicht falsch zu erscheinen. Kann man nicht ebensogut von etwas aussagen, es sei Alexander der Grosse, oder es sei die Zahl Vier, oder es sei der Planet Venus, wie man von etwas aussagen kann, es sei grün, oder es sei ein Säugethier?

Empfohlene Zitierweise:
: Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, 16. Jahrgang. O. R. Reisland, Leipzig 1892, Seite 199. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gottlob_Frege,_Ueber_Begriff_und_Gegenstand,_1892.pdf/4&oldid=- (Version vom 17.8.2017)
  1. Er ist nämlich Bedeutung eines grammatischen Prädicats.