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     Und, als sich ihr Leben zum lezten ermant,

Erstrekte sie nach dem Gefässe die Hand,
Und schlang’s in die Arme und hielt es im Schoos,
Und dekte, was drinnen verborgen war, blos.

     Da rauchte, da pocht’ ihr entgegen sein Herz,

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Als fühlt’ es noch Leben, als fühlt’ es noch Schmerz.

Jezt that sich ihr blutiger Thränenquel auf,
Und strömte, wie Regen vom Dache, darauf.

     „O Jammer! Nun gleichest du Wasser und Wind:
Wol Winde verwehen, wol Wasser verrint:

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Doch alle verwehn und verrinnen ja nie! –

So du, o blutiger Jammer, auch nie!“

     Drauf sank sie, mit holem gebrochnen Blik,
In dumpfen Todestaumel zurük,
Und drükte noch fest, mit zermalmendem Schmerz,

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Das Blutgefäs an ihr liebendes Herz.

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Gottfried August Bürger: Gedichte. Johann Christian Dieterich, Göttingen 1778, Seite 227. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gottfried_August_B%C3%BCrger_Gedichte_1778.pdf/290&oldid=- (Version vom 1.8.2018)