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So antwortet der Sohn dem König: »Herr Vater, sagt mir nun, was heißt man einen Freund, auf den ich mich verlassen kann ?«

So spricht der König: »Du sollst keinen für einen Freund halten, du hättest ihn denn vorher erprobt.«

Der Sohn antwortet dem König: »Mit was soll ich ihn denn erproben, damit ich seinen Sinn und seine Gedanken weiß und von seiner Freundschaft versichert bin?«

Da sagte der König zu seinem Sohn: »Nimm du ein Kalb und schlachte es, ohne daß jemand etwas davon weiß. Und tu das Kalb in einen Sack hinein und komm in der Nacht und trag es auf deiner Achsel und geh damit vor das Haus von deinem Hofmeister und Kammerdiener und Schreiber. Ruf ihn zu dir herab in der Nacht und sag ihm: ,Ei, was ist mir nun geschehen! Ich hab den ganzen Tag getrunken bis jetzt. So bin ich im Trunk über meines Vaters Hofmeister zornig geworden, weil er so hart wider mich geredet hat. Und ich konnte sein Wort nicht erdulden, da besann ich mich nicht lang, zog meinen Degen heraus und stach ihn tot. Nun fürcht ich mich vor meinem Vater, vielleicht möcht er es erfahren und er ist ein zorniger Mann. Vielleicht möcht er sich in seinem Jähzorn an mir rächen. So hab ich nun den Toten in einen Sack getan, wie du da siehst. So bitt ich dich, hilf mir nun, ihn jetztunder bei der Nacht zu begraben.' Also wirst du bald vermerken, was du für Freunde an ihnen hast.«

Und es ging der Sohn und tat also. Und er kam in der Nacht mit seinem Toten im Sack vor seines Hofmeisters Tür und er klopft an. So guckt der Hofmeister zum Fenster heraus und fragt: »Wer klopft so spät in der Nacht an meiner Tür?« Der Königssohn antwortet: »Ich bin es, Dein Herr, des Königs Sohn.« Und der Hofmeister lauft geschwind und macht die Tür auf und sagt: »Ei, was macht mein Herr allhier so spät in der Nacht?« Der Königssohn erzählt ihm all die obigen Reden und sagt zu ihm: »Weil du mein getreuer Hofmeister bist, so hilf mir doch den Toten

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Glikl bas Judah Leib: Die Memoiren der Glückel von Hameln. Wien, 1910, Seite 195. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Glueckel_195.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)