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und Gelehrte, die wir das ganze Jahr bestellt haben, um in meinem Hause Tag und Nacht Thora zu lernen und andere Sachen – Gott sei es nicht vorgerückt!

Meine Kinder haben fleißig das Seelengebet nachgesagt. Es ist kein Mann und keine Frau gewesen, die nicht jeden Tag gekommen sind und die Trauernden getröstet haben.

Nun, an unseren Tränen hat es auch nicht gefehlt. Die sieben Trauertage haben wir verbracht, wie man wohl denken kann. »Tränenbrot hab ich gegessen und mit reichlichen Tränen hast du uns getränkt.« – »Wen soll ich dir vergleichen, und wen dir gleichstellen, Tochter Zions.«

Ich bin leider vom Himmel auf die Erde geworfen worden. Meine Kinder, Geschwister und andere Freunde haben mich getröstet, so gut sie gekonnt haben, aber ein jeder ist mit den lieben Seinigen in sein Haus gegangen und ich bin mit meinen Waisen in Kummer und Sorgen sitzen geblieben.

Ich habe den lieben Mann dreißig Jahre gehabt, und alles Gute von ihm gehabt, was sich eine ehrliche Frau wünschen mag oder kann, und er hat mich sogar nach seinem Tod wohl bedacht, daß ich wohl in Ehren hätte können sitzen bleiben. Aber was hilft es, was der göttliche Beschluß ist, ist nicht zu ändern.

Nun, meine herzigen, lieben Kinder, unser getreuer Freund ist wie ein Frommer gestorben. Er ist nur vier Tage gelegen und hat seinen ganzen Verstand gehabt, bis er seine Seele ausgehaucht hat.

Was er nun in der kurzen Zeit mit mir geredet hat, davon wäre viel zu schreiben. Wer gäbe, daß mein Ende und mein Ausgang so wäre, wie das seine war. Sein Verdienst stehe uns bei, mir und meinen Söhnen und Töchtern – sie sollen leben. Wie seine Seele weggeflogen ist, ist meine Herrlichkeit, mein Reichtum und meine Ehre weggeflogen.

Und er hat die Gunst genossen, in Reichtum und Ehre von dieser sündigen Welt zu scheiden. Er hat nichts Böses und kein Herzeleid bei seinen Söhnen und Töchtern gesehen. Und darauf ist gesagt worden: »Vor dem Bösen ist der Gerechte hingerafft worden.«

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Glikl bas Judah Leib: Die Memoiren der Glückel von Hameln. Wien, 1910, Seite 191. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Glueckel_191.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)