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Also sind unsere menschlichen Gedanken, daß ein jeder meint, daß er am meisten zu leiden hat. Darum ist nichts besser als die Geduld. Denn wenn Gott der Allmächtige will, kann er gar bald alles von uns abnehmen.

Nach derselbigen Zeit ist mein Vater – das Andenken des Gerechten gesegnet – gar krank gewesen an der Krankheit Zipperlein – Gott behüte – aber es ist eine Krankheit zu seinem Tod gewesen. Er hat angefangen anzuschwellen und ist mehr als ein Vierteljahr auf seinem Schmerzenslager darniedergelegen. Wir sind alle Nacht bei ihm gewesen, oft bis gegen Mitternacht, daß wir allemal gemeint haben, sein Ende abzuwarten.

Endlich, wie er nun bald an der Zeit gewesen ist, daß Gott – er sei gelobt – ihn hat aus dem Zeitlichen ins Ewige nehmen wollen, also war es einmal in der Nacht, daß wir, mein Mann und ich und meine Mutter beisammen sitzen. Es ist gar spät in der Nacht gewesen. Ich bin hoch schwanger gewesen, so hat meine Mutter gemacht, daß ich und mein Mann – das Andenken des Gerechten gesegnet – heimgegangen sind. Wie wir ungefähr eine Stunde gelegen sind, kommt jemand aus dem Haus von meinem Vater – das Andenken des Gerechten gesegnet – zu klopfen. Mein Mann – des Andenken des Gerechten gesegnet – sollte doch gleich in das Haus meines Vaters – das Andenken des Gerechten gesegnet – kommen. Nun sind wir gewohnt gewesen, daß solches gar oft geschehen ist. Also hat mein Mann – das Andenken des Gerechten gesegnet – nicht leiden wollen, daß ich mitgehen sollte. Er hat mich überredet, daß ich liegen bleiben sollte. Wenn er sähe, daß es – Gott bewahre – nötig wäre, wollte er nach mir schicken. Ich hab mich überreden lassen und bin liegen geblieben und bald hart eingeschlafen. Wie nun mein Mann – das Andenken des Gerechten gesegnet – in das Haus meines Vaters kommt, ist er im selben Augenblick verschieden gewesen. Es ist ungefähr um Mitternacht gewesen.

Mein Mann – das Andenken des Gerechten gesegnet – hat nicht leiden wollen, daß man mich aufwecken sollte, und

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Glikl bas Judah Leib: Die Memoiren der Glückel von Hameln. Wien, 1910, Seite 156. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Glueckel_156.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)