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und ist den Sabbat dort gelegen, bis gegen Sabbat Ausgang die Post von Harburg abfährt, und hat mir von Harburg einen großen Brief geschrieben, eitel Trost, daß ich mich doch sollt zufriedengeben. Gott – sein Name sei gelobt – werde uns an anderer Stelle alles wieder geben, welches auch geschehen ist. Und mein Mann – das Andenken des Gerechten gesegnet – ist in der Stadt Frankfurt angelangt und hat solch gute Messe gehabt, wie er all seine Tage nicht gehabt hat. Er hat auf dieser Messe viele Tausende verdient, wofür dem Höchsten gedankt sei, der seine Gnade und Barmherzigkeit nicht von uns abgetan hat und allezeit zu der Wunde eine Heilung geschickt hat; wenn ich mir diesmal auch gedacht habe, daß keiner in der Welt ist, der mehr Kummer und innerliche Sorgen hat als ich, und nicht betrachtet habe, daß die ganze Welt ist voll Pein, ein jeder findet das sein.

Gleichwie ein Philosoph gewesen ist, der ist auf der Gasse gegangen, begegnet ihm einer von seinen guten Freunden, welchen er grüßt und fragt, wie es ihm geht.

Der Freund dankt ihm und sagt: »Mein lieber Freund, es geht mir sehr schlecht. Ich habe mehr Sorgen und Anliegen, als einer in der ganzen Welt.«

So sagt der Philosoph: »Nun, mein guter Freund, wenn du willst, so komm mit mir auf das Dach, so will ich dir alle Häuser in der ganzen Stadt weisen, und will dir sagen, was in jedem Haus für Sorge und Unglück steckt. Und wenn es dir beliebt, so nimm all deine Sorgen und wirf sie unter all die Sorgen und nimm dir die heraus, die du willst. Vielleicht kannst du was finden, was dich vergnügt.«

Also gehen sie zusammen auf das Dach. Der Philosoph zeigt seinem Freund in diesem Haus das Unglück und in jenem Haus jenes Unglück. »Tu nun also, wie ich dir gesagt habe.«

Also hat dem Philosoph sein Freund gesagt: »Ich seh doch wohl, daß in jedem Haus Ungemach und Sorgen stecken, so viel und vielleicht mehr als die meinen. Ich will das meinige behalten.«

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Glikl bas Judah Leib: Die Memoiren der Glückel von Hameln. Wien, 1910, Seite 155. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Glueckel_155.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)