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diesen drei Buchstaben habe ich eine Deutung sagen hören: Zur bestimmten Zeit wird Gott – er sei gelobt – alle Armen vor Gericht bringen und wird sie fragen, warum sie auf der Welt keine Thora gelernt haben. Antwortet der Arme: »Herr der Welt, du weißt ja wohl, ich bin arm gewesen und hab mich Tag und Nacht mühen müssen, daß ich mich und meine Frau und meine Kinder ernährt habe.«

So sagt Gott – er sei gelobt: »Bist du denn ärmer gewesen als Hillel?« Denn wir finden geschrieben, daß alle, die haben wollen ins Lehrhaus gehen, um zu lernen, mußten dem Diener alle Tage einen Groschen geben. Einmal am Freitag hat der gute Hillel gern wollen ins Lehrhaus gehen und hat keinen Groschen gehabt, dem Diener zu geben. Also hat er sich an das Fenster geklammert, erwartend, daß er die Halacha lernen hören wollte. Also ist auf den guten Hillel nebbich ein großer Schnee gefallen, der ihn ganz bedeckt hat. Es ist gegen Schabbes gewesen und es haben die Leute im Lehrhaus nicht gewußt, warum als es ist so finster geworden. So hat man auf die Gasse herausgesehen und hat ersehen, daß der gute Hillel nebbich ganz mit Schnee zugedeckt und erfroren gewesen ist. So hat man gesagt, der Diener soll flugs Feuer anmachen und den Hillel daran legen, ob man ihn wieder zurechtbringen kann. So hat der Diener gesagt: »Es ist schon Sabbat.« Haben die Weisen – ihr Andenken sei gesegnet – gesagt: »Ei, Hillel ist wohl wert, daß man seinetwegen den Sabbat entweiht.« Also hat man ihn wieder belebt.

Also macht das göttliche Gericht die Armen dafür verantwortlich, wenn sie keine Thora lernen oder nichts Gutes tun. Denn Hillel ist so arm gewesen, daß er sogar den Groschen dem Diener zu geben nicht gehabt hat. Und doch hat er nicht verfehlt, Thora zu lernen.

Und besonders Hillel, der ein solcher Schriftgelehrter gewesen, daß, wenn er hätte wollen, hätte er im Diesseits schon von seiner Thora was genießen können, wenn er nur von den Leuten hätte Geschenke nehmen wollen. Man hätte ihm sein Haus voll Silber und Gold geschüttet, denn er ist, wie bekannt, einer unserer größten Tanaïten gewesen.

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Glikl bas Judah Leib: Die Memoiren der Glückel von Hameln. Wien, 1910, Seite 130. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Glueckel_130.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)