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Ich bin eine Frau gewesen, die in großer Aestimation so lange mit ihrem frommen Mann gewesen ist, und von ihm gehütet wie sein Augapfel, aber mit seinem Absterben ist mein Reichtum, meine Ehre, alles mit ihm weg gewesen, was ich alle meine Tage und Jahre zu bejammern und zu beklagen habe. Wenn ich auch wohl weiß, daß es eine Schwachheit ist, daß ich einen großen Fehler begehe, muß ich doch bekennen, daß ich meine Zeit in solchem Elend und Jammer zubringe. Es wäre viel besser, wenn ich alle Tage auf meine Knie fiele, um den großen, gnädigen Gott zu loben und ihm für die große Gnade zu danken, die er mir Unwürdigen tut.

Ich sitze noch bis dato an meinem Tisch, esse, was mich gelüstet, leg mich zu Abend in mein Bett, hab noch einen Schilling zu zehren, so lange es dem großen Gott beliebt. Ich habe meine lieben Kinder, ob es auch zuzeiten dem einen oder dem anderen nicht geht, wie es gehen soll, so leben wir doch und erkennen unseren Schöpfer. Wieviel Leute sind in dieser Welt, die besser, frömmer, gerechter und wahrhaftiger sind als ich, und haben viel weniger, vielleicht nicht Speise für eine Mahlzeit, solche, die ich selbst kenne, daß es ausbündig fromme Leute sind. Wie sollt ich meinem Beschaffer genug loben und danken können für alle Gnaden, die er an uns tut, ohne unsere Vergeltung, wie ich schon geschrieben.

Wenn wir armen sündigen Menschen nur die große Barmherzigkeit erkennen möchten, daß der große Beschaffer uns aus einem Stück Lehm zu Menschen gemacht hat.

Seinen großen, furchtbaren, heiligen Namen hat er uns zu erkennen gegeben, damit wir unserem Beschaffer mit ganzem Herzen dienen sollen. Denn, meine lieben Kinder, seht doch, was tut ein sündiger Mensch, um anzukommen, von einem König eine Gnade zu erlangen, der doch nichts ist als Fleisch und Blut, der heute hier ist und morgen im Grabe; und sie wissen nicht, wie lange so ein König von Fleisch und Blut lebt und man Gutes von ihm empfängt, oder wie lange derselbe Mensch lebt, der die Wohltaten bekommt.

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Glikl bas Judah Leib: Die Memoiren der Glückel von Hameln. Wien, 1910, Seite 116. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Glueckel_116.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)