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finde mein Kind nicht darin. Ich bin sehr erschrocken, hab aber doch keinen Lärm zu machen angefangen, damit meine Mutter nicht aufwachen und sich erschrecken sollte. Also hab ich angefangen, die Magd zu schütteln, und hätte sie gern im stillen aufgeweckt, aber die Magd ist sehr verschlafen gewesen. Ich hab müssen anfangen, laut zu schreien, ehe ich sie aus dem Schlaf kriegen konnte. Dann frag ich sie: »Wo hast du mein Kind?« Die Magd weiß nicht, was sie aus dem Schlaf spricht. Meine Mutter erwacht auch darüber und sagt zu der Magd: »Wo hast du Glückelchens Kind?« Aber die Magd ist so verschlafen gewesen, daß sie keine Antwort geben konnte.

Also sag ich zu meiner Mutter: »Mamme, vielleicht hast du mein Kind bei dir im Bett?« So sagt sie: »Nein, ich hab mein Kind bei mir,« und hält es so fest an sich, wie wenn man ihr das Kind wegnehmen wollte. Da fällt mir ein und ich bin über ihre Wiege gegangen und hab nach ihrem Kind gesehen – da ist ihr Kind in der Wiege gelegen und hat sanft geschlafen. Sag ich: »Mamme, gib mir mein Kind her, dein Kind liegt in der Wiege.«

Hat sie es doch nicht glauben wollen und ich hab ihr ein Licht bringen müssen, daß sie es recht besehen hat. Also hab ich meiner Mutter ihr Kind gegeben und meines genommen. Das ganze Haus ist derweil wach geworden und in Schrecken gekommen. Aber danach hat sich die Schrecknis in Gelächter verkehrt und man hat gesagt, bald hätte man den König Salomo – er ruhe in Frieden – nötig gehabt.

Also sind wir ein Jahr bei Vater und Mutter – sie ruhen in Frieden – gewesen.

Zwar hatten wir zwei Jahre Kost versprochen bekommen, da es uns aber in dem Haus meines Vaters – das Andenken des Gerechten sei gesegnet – gar sehr eng gefallen ist, hat mein Mann nicht länger bleiben wollen und wir haben von den Eltern keinen Heller annehmen wollen für das zweite Jahr Kost.

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Glikl bas Judah Leib: Die Memoiren der Glückel von Hameln. Wien, 1910, Seite 65. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Glueckel_065.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)